Entführung: Machtkampf um das Kind

Entfuehrung Machtkampf Kind
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Die Entführung eines Kindes ist die Spitze des Eisbergs im Kampf um das Sorgerecht - hinter dem Streit steckt dabei meist vor allem eines: Egozentrisches Verhalten der Eltern.

Oliver verbringt Ostern in Dänemark. Hinter ihm liegt eine Reise quer durch Europa, die am Dienstag in Graz begonnen hat. Auf dem Weg in den Kindergarten wurde der fünfjährige Bub seiner Mutter entrissen, in ein Auto gezerrt und nach Dänemark gebracht. Oliver wurde von seinem Vater entführt. Das ist die eine Seite der Geschichte, die in der vergangenen Woche für großen Aufruhr sorgte.

Auf der anderen Seite steht die Version des Vaters – der Däne hatte mit der Mutter und seinem Sohn in Dänemark gelebt. Als sich das Paar 2010 trennte, kehrte die Frau mit dem Kind nach Österreich zurück. Hier gilt die Frau als obsorgeberechtigt, in Dänemark erkämpfte sich der Vater die alleinige Obsorge. Von österreichischer Seite liegt ein internationaler Haftbefehl gegen den Mann vor. Von dänischer Seite gibt es ebenfalls einen Haftbefehl, allerdings gegen die Mutter. So weit, so verworren.


25 Fälle pro Jahr. Im österreichischen Justizministerium schätzt man die Zahl derartiger Kindesentführungen pro Jahr auf rund 25 – ob mit oder ohne Auslandsbezug, lasse sich allerdings nicht erfassen. Und doch sind spektakuläre Fälle wie der von Oliver nur die Spitze des Eisbergs im elterlichen Kampf um die Obsorge. Der Großteil derartiger Konflikte spielt sich tagtäglich ohne quietschende Reifen, Umsteigen in andere Fluchtautos und heimliche Grenzübertritte ab – und demnach auch weitab jeglicher medialer Beachtung. Allerdings verdeutlichen gerade derartige Extremfälle besonders plastisch, was oft hinter dem Streit um das Sorgerecht steckt – und das ist weniger das Kindeswohl, als vielmehr ein elterlicher Machtkampf.

Denn gerade Beziehungen, die nicht friedlich zu Ende gegangen sind, hinterlassen viele ungelöste Probleme. Der Expartner muss dann als Sündenbock für alle möglichen Probleme herhalten, auch um von einer eigenen Schuld am Scheitern der Beziehung abzulenken. Und die Kinder werden in diesem Machtkampf allzu oft als Spielball missbraucht. Sei es, dass die beiden Elternteile um deren Gunst buhlen und den jeweils anderen Expartner schlechtmachen. Oder sei es, dass ein Streit um die Obsorge geführt wird. Das Kindeswohl spielt in einem solchen Wettstreit des Narzissmus oft nur eine untergeordnete Rolle.

Dass der Kampf um das Kind allerdings in eine Entführung ausartet, dafür müssen noch einige andere Dinge hinzukommen. „Da geht es auch um Persönlichkeiten, die sehr egozentrisch sind“, sagt Rotraut Erhard, klinische Psychologin und gerichtlich beeidete Sachverständige. „Sie betrachten ihr Kind als Eigentum.“ Es gebe immer wieder Fälle, bei denen geschiedene Elternteile ihr Kind vor allem dazu benutzen, vor anderen gut dazustehen. „Wenn jemand so strukturiert ist, dass er das Kind nur für sein Ego verwendet, kann es zu solchen hoch konflikthaften Situationen kommen.“ Das allerdings nur dann, wenn das Kind auch den Ansprüchen des Elternteils gerecht wird, meint Erhard: „Bei einem behinderten Kind wird man ein solches Verhalten kaum erleben.“


Recht auf das Kind. Ein weiterer Konfliktverstärker hat dann seinen Auftritt, wenn das subjektive Recht auf das eigene Kind auf Kollisionskurs mit der tatsächlichen Rechtslage geht. Nach einer Scheidung bleibt in Österreich grundsätzlich die Obsorge beider Eltern aufrecht, die nur bei Bedarf auf einen einzelnen Elternteil übertragen werden kann. Problematischer ist es bei nichtehelichen Kindern – hier kommt die alleinige Obsorge zunächst allein der Mutter zu. Den Antrag auf gemeinsame Obsorge müssten die Eltern vor Gericht einbringen – im Fall einer nicht friedlich verlaufenen Trennung stehen die Chancen dafür aber naturgemäß eher schlecht. Und vor allem Väter sehen sich deshalb als Opfer, denen das Recht auf ihr Kind genommen wird.

Dass deswegen vor allem Männer dazu neigen, das Recht selbst in die Hand zu nehmen, lässt sich dadurch allerdings nicht unbedingt ableiten. In der jüngeren Vergangenheit gibt es mehrere Fälle, bei denen auch Frauen einen Obsorgestreit mit einer Entführung zu gewinnen versuchten. Gerade jene Fälle, die auch über Ländergrenzen hinweggehen, finden dabei eine breite mediale Resonanz. Zum einen, weil sie sich besonders gut emotionalisieren lassen – die Distanzen sind groß und die Kinder sind zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen gefangen. Zum anderen aber auch, weil dadurch ein weiteres Problemfeld aufgedeckt wird, nämlich die unterschiedliche Rechtsprechung verschiedener Staaten.

Der Streit um die Obsorge wird damit auch zu einem narzisstischen Wettkampf der einzelnen nationalen Rechtsordnungen. Jeder Staat ficht stellvertretend für einen Elternteil den Kampf auf Behördenebene aus. Was sich mitunter sehr lange ziehen kann. Wie Fälle aus der Vergangenheit zeigen, auch über mehrere Jahre. Auf der Strecke bleibt in einem solchen Fall vor allem das, worum es beiden Elternteilen eines Kindes eigentlich gehen sollte – das Wohl des Kindes.

AKTUELL

Der Fall Oliver
Vergangenen Dienstag entriss ein 40-jähriger Däne seinen fünfjährigen Sohn der Mutter auf dem Weg zum Kindergarten in Graz und flüchtete mit ihm in seine Heimat.

Rechtsstreit
Österreichische Gerichte sprachen der Mutter das Sorgerecht zu, in Dänemark erkämpfte sich der Vater die Obsorge. Die Behörden beider Länder wollen erst nach Ostern aktiv werden, um Druck aus dem Fall zu nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2012)

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