Und welchem Lerntyp-Hoax sind Sie aufgesessen?

(c) FABRY Clemens
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Der Mythos von den "Lerntypen" ist offenbar unsterblich - obwohl es keine einzige überzeugende Studie gibt, die ihn stützt. Dabei wäre eine Generalsanierung dringend nötig.

Maximilian lernt am besten, wenn er sich die Jahreszahlen vor einer Geschichte-Prüfung noch schnell auf einen Schummelzettel schreibt (den er dann aber nicht verwendet, wie er versichert). Marina spricht am liebsten mit ihren Freundinnen über die Spielregeln der Währungsunion, um sie sich den Wirtschaftskunde-Stoff besser einzuprägen. Ahmed muss den Stromschlag in Chemie spüren, Serena die Vokabel in Französisch hören und Stefan reicht es, wenn er sich in Psychologie Diagramme ansieht. Die Nachwuchs-Einsteins gehören eben alle unterschiedlichen Lerntypen an und seit sie diese entdeckt haben, steht ihrem akademischen Erfolg nichts mehr im Wege.

Ausgesprochener Schwachsinn, wie man heute weiß, und trotzdem glauben noch fast alle daran!

Ein Mythos als Popstar

Wenn man "Lerntypen" googelt, werden einem großzügig Seiten von Bundesministerien, Universitäten, Schulen, Berufsförderungseinrichtungen, Lernportalen, Nachhilfeinstituten, Versicherungen, Zeitungen, Buchverlagen und Onlinemarktplätzen aufgetischt. Alle meinen, dass man Lernende in (mindestens) vier Lerntypen einteilen und in weiterer Folge Unterrichtsmethoden an diese anpassen könne und solle. Der Mythos vom auditiven oder kinästhetischen Lerntypen etwa verschwindet genauso wenig aus den Klassenzimmern wie Aretha Franklin oder Elvis Presley aus den Tanzlokalen.

Doch dass es keine einzige überzeugende Studien gibt, welche die Theorie der Lerntypen stützt, scheint niemandem weh zu tun – viel zu gerne will man den Eltern und Schülern (weltweit übrigens) vormachen, dass man eine maßgeschneiderte Bildung erhalten könne (und hier und dort auch werde).

Dabei lassen besagte Studien eher folgenden – viel interessanteren – Schluss zu: Ob ich mir einen Lerninhalt aneigne, hängt nicht davon ab, ob die Lernmethode, mit der er übermittelt wird, am besten zu mir passt, sondern davon, ob die Methode am besten zum Lerninhalt passt. Rechtschreibung wird zum Beispiel eher durch das Sehen und Aufschreiben geübt. Aussprache durch das Hören und Nachsprechen.

Soll man die Lernstile demnach entthronen?

Das Konzept des sensorischen Lernens muss jetzt natürlich nicht generell über Bord geworfen werden. Doch anstatt bloß die bevorzugten Sinne einzusetzen, sollte sowohl der Lehrende als auch der Lernende multisensorisch vorgehen, denn: Je mehr Sinne beim Lernen involviert sind, desto mehr Gehirnregionen sind aktiv und desto stärker werden die neurologischen Verknüpfungen angelegt, die dafür sorgen, dass man sich etwas dauerhaft merken kann (hier spielen natürlich auch noch andere Faktoren wie Wiederholungen etwa eine wichtige Rolle).

Die Lernstile müssen also nicht entthront werden, sondern bloß generalsaniert, denn so, wie sie bisher verwendetet wurden, bringen sie nichts:

Lehrer, die im bevorzugten Lernstil eines Schülers unterrichten, stärken bloß dessen Stärken, anstatt ihm Möglichkeiten zu bieten, an seinen Schwächen zu arbeiten. Außerdem nutzen sie nicht die Kraft der Sinne und lassen wichtige Bereiche des Gehirns beim Lernen brachliegen.

Schüler hingegen, die ausschließlich an ihrem ohnedies bereits bevorzugten Lernstil arbeiten, können sich nicht auf verschiedene Unterrichts- und Informationsgewinnungsmethoden einstellen und bleiben unflexibel, was in einer immer komplexeren Welt durchaus einen Nachteil darstellt.

Was also tun?

Für uns Lehrer – und all jene, die mit der Aufgabe betraut sind, Lernmöglichkeiten für andere aufzubereiten – gilt demnach, dass wir jeweils die Methode wählen, die am besten zum Lerninhalt passt, und dass wir sowohl bei der Aufgabenstellung als auch bei der Bereitstellung der Werkzeuge Raum für möglichst viele Sinneseindrücke schaffen sollen. Außerdem müssen wir unsere Schüler dazu befähigen, durch die Einbeziehung all ihrer Sinne aus jeder Lernsituation das Maximum heraus zu holen und sich individuell auf Lehr- und Lernsituationen einstellen zu können.

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