Jedes vierte Kind hat Sprachprobleme

Jedes vierte Kind Sprachprobleme
Jedes vierte Kind Sprachprobleme(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) reagiert auf alarmierende Testergebnisse: Für Arbeitslose soll es weniger Geld geben, für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen mehr.

Wien. Nun ist neben der (Gesamt-)Schule auch der Kindergarten im Wahlkampf gelandet. Dafür sorgte gestern, Dienstag, der Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz (ÖVP). Und zwar mit einer durchaus ungewöhnlichen Idee: Es soll weniger Geld für Arbeitslose ausgegeben und im Gegenzug mehr in die sprachliche Frühförderung von Kindergartenkindern gesteckt werden. Damit reagiert der Staatssekretär auf eine neue alarmierende Erhebung, die zeigt, dass jedes vierte getestete Kind Deutschprobleme hat.

Für Kurz ist der „Systemwechsel im Budget“ unumgänglich. Pro Jahr würden rund 3,5 Milliarden Euro für Arbeitslose aufgewendet – davon eine Milliarde allein für die Arbeitsmarkt- und Arbeitslosenverwaltung. Im Vergleich dazu würde (zu) wenig Geld in die Förderung von Kindern mit Deutschproblemen gesteckt: „Das ist eine totale Schieflage, das kann es nicht sein.“ Man solle die Arbeitslosigkeit lieber früher verhindern, anstatt sie später zu verwalten. Geht es nach Kurz, soll das Budget bereits bis 2020 umgeschichtet werden, und zwar „von der Arbeitslosenverwaltung in Frühförderung und Schulbeginn“.

Der Koalitionspartner SPÖ hält von dem Vorschlag freilich wenig. „In Zeiten eines europaweiten Anstiegs der Arbeitslosigkeit davon zu sprechen, dass das Budget für Arbeitslose und AMS-Verwaltung gekürzt werden soll, ist eine weitere Verunsicherungsidee der ÖVP“, lautete die prompte Reaktion von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos.

18.700 Kinder haben Probleme

Ausschlaggebend für die Debatte waren die gestern erstmals veröffentlichten Ergebnisse der im vergangenen Kindergartenjahr durchgeführten Sprachstandsfeststellung. Bei dieser wurde beobachtet, ob die Kinder die Verben richtig beugen, ob sie Artikel verwenden und ob ihr Wortschatz dem Alter entspricht. Die Ergebnisse zeigen: Von den insgesamt 80.200 getesteten Kindergartenkindern haben rund 18.700 sprachlichen Förderbedarf. Jedes vierte Kind, das getestet wurde, hat also Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache – das Problem beschränkt sich längst nicht nur auf Migrantenkinder.

Auf die Gesamtheit der Kindergartenkinder kann die Zahl aber dennoch nicht umgelegt werden. Denn welche und wie viele Kinder bei dieser Sprachstandsfeststellung getestet wurden, lag im Ermessen der einzelnen Bundesländer. Während mancherorts also alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren getestet wurden, waren es in anderen Bundesländern nur diejenigen, die vor dem letzten Kindergartenjahr standen, also die Vierjährigen. Und Kärnten testete überhaupt nur jene Kinder, die schon beim Eintritt in den Kindergarten Sprachdefizite aufwiesen, wie Katerina Wahl vom Österreichischen Integrationsfonds erklärt. Dieser ist dafür zuständig, die Förderprogramme in den Bundesländern zu genehmigen.

Was der Wirrwarr bei der Erhebung zeigt: Die kürzlich vom Rechnungshof (RH) geäußerte Kritik ist durchaus berechtigt. Der RH monierte, dass die Länderkompetenzen zu „unkoordinierten Maßnahmen“ im Bereich der Sprachförderung führen und damit eine wirksame Strategie erschweren würden. Katerina Wahl sieht die Sprachstandsfeststellung dennoch positiv. „Es wurden 18.698 Kinder erfasst, die wir sonst erst in der Schule als Problemfälle wiedersehen würden“, so die Expertin.

Zweites Gratiskindergartenjahr?

Dabei landen jetzt schon weniger „Problemfälle“ in den Schulen als noch vor einigen Jahren. Denn das verpflichtende Kindergartenjahr für Fünfjährige hat bereits für Verbesserungen gesorgt. Sowohl SPÖ und ÖVP wünschen sich nun ein zweites Gratiskindergartenjahr. Woran das bislang scheiterte: Während die SPÖ das zweite Kindergartenjahr für alle verpflichtend machen will, beharrt die ÖVP auf Wahlfreiheit. Es sollen nur jene Vierjährigen verpflichtend in den Kindergarten gehen, „die es brauchen“.

Auf einen Blick

Bei der Sprachstandsfeststellung wurde im vergangenen Kindergartenjahr österreichweit der Sprachstand von 80.200 Kindern getestet. Es wurde beobachtet, ob die Kinder Artikel verwenden, ob sie Verben richtig beugen und ob ihr Wortschatz dem Alter entspricht. Ein Viertel dieser Kinder wurde dabei als Problemfälle erkannt. Auf die Gesamtheit der Kindergartenkinder kann die Zahl jedoch nicht umgelegt werden. Denn welche Kinder bei der Sprachstandsfeststellung getestet wurden, lag im Ermessen der einzelnen Bundesländer. Manche untersuchten alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren, manche nur diejenigen, die vor dem letzten Kindergartenjahr standen. Kinder, die Deutschprobleme haben, erhalten nun zusätzliche Fördermaßnahmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2013)

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