Bildungsziele: "Lehrer können sich nicht vierteilen"

Bildungsexpertin Koenne fordert klare inhaltliche Vorgaben für Schulen.
Bildungsexpertin Koenne fordert klare inhaltliche Vorgaben für Schulen.(c) Michaela Bruckberger
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Expertin Christa Koenne erklärt im "Presse"-Gespräch, warum Standardisierung und Individualisierung nicht gleichzeitig stattfinden können und warum Österreichs höhere Schulen zu "infantil" sind.

Die Presse: In den vergangenen Jahren stritten SPÖ und ÖVP stets über die Gesamt- bzw. die Ganztagsschule. Sind das eigentlich die entscheidenden Schrauben, an denen im Bildungsbereich gedreht werden muss?

Christa Koenne: Es sind schon wichtige Schrauben. Wichtiger ist aber etwas anderes: der Inhalt. Was in der Bildungspolitik endlich geklärt werden müsste, ist, was Kinder nach Absolvierung der Schulpflicht eigentlich können sollten. Darüber sollten sich SPÖ und ÖVP Gedanken machen.

Wurde das nicht bereits mit den Bildungsstandards gemacht?

Nur zum Teil. Klar ist, dass wir Mindeststandards brauchen, die wirklich alle erreichen müssen. Damit das möglich ist, braucht es eine heterogene Lerngruppe – also eine gemeinsame Schule –, eine geeignete Didaktik und eine bestimmte Methodik.

Kann die Politik tatsächlich konkret vorgeben, was ein Schüler nach Ende der Schulpflicht können muss?

Ich möchte nicht, dass die Minister das machen. Aber ich möchte, dass die Regierung eine Expertengruppe einsetzt und sagt: Gebt uns vor, was am Ende der Schulpflicht übrig bleiben soll.

Braucht es die Standards nur für Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften? Oder für alle Schulfächer?

Ich würde mir derartige Standards durchaus für mehrere Bereiche – wenn nicht für das gesamte Spektrum – wünschen.

Dann wäre nach Ende der Schulpflicht wohl ein Test zur Überprüfung des Gelernten notwendig.

Ja. Wir brauchen die sogenannte mittlere Reife. Diese soll vor allem ein Initiationsritual sein.

Was würde ein solches bringen?

Es würde den Jugendlichen zeigen, dass sie ab diesem Zeitpunkt mehr Eigenverantwortung für ihre Bildung übernehmen müssen. Derzeit gehen wir mit den Jugendlichen um wie mit den Kleinen. Hast du deine Hausübung gemacht? Und warum bist du zu spät gekommen? Schule ist zu infantil. Genau darauf sind in diesem Alter viele Schüler allergisch.

Sollten die höheren Schulen der Uni ähnlicher werden?

Nein. Schüler sollten eine wirkliche Aufgabe vorfinden. Die Sängerknaben sind ein gutes Beispiel dafür: Die haben vier Stunden Pflichtunterricht, um die definierten Standards zu erreichen. Und dann haben sie noch etwas, das sie begeistert. Genau das müssen wir in der schulpflichtigen Zeit schaffen: Die Schüler müssen einerseits Mindeststandards erreichen und andererseits ihre Begabungen und Interessen entdecken.

Das klingt nach einem System, in dem Schüler am Vormittag vier Stunden Pflichtfächer absolvieren und sich am Nachmittag den eigenen Interessen widmen.

Es muss keine Trennung in Vormittag und Nachmittag sein. Aber prinzipiell ist das ein gutes System. Es braucht einen gemeinsamen Unterricht, der alle Schüler auf ein Mindestniveau führt, und einen individuellen Unterricht, in dem sich die Lehrperson auf die Neigungen und Begabungen der einzelnen Schüler konzentriert.

Genau das – also eine Standardisierung und eine Individualisierung – wird stets von der Gesamtschule gefordert. Können diese beiden Ziele eigentlich gleichzeitig verfolgt werden?

Nein. Man muss das trennen. Eine Lehrperson kann nicht beidem zugleich gerecht werden. Lehrer können sich nicht vierteilen. Ich glaube, dass ein Teil der Zeit dazu benützt werden muss, um in heterogenen Gruppen Mindeststandards zu erreichen. In der restlichen Zeit sollen die Schüler in Bereichen gefördert werden, in denen sie begabter sind.

Das Ganze sollte Ihrer Meinung nach aber in einer Gesamtschule passieren?

Es wäre dann nicht mehr wichtig, ob Standorte Hauptschule, Neue Mittelschule oder Gymnasium heißen. Schulen hätten dann einfach ein eigenes Profil. Sie wären alle dazu verpflichtet die Mindeststandards zu erreichen, und darüber hinaus würde sich eine Schule auf Sport, eine andere auf Musik und eine weitere auf Naturwissenschaften konzentrieren. Die Eltern hätten die Wahlfreiheit zwischen diesen Spezialisierungen und nicht zwischen den einzelnen Schultypen. Erst dann könnten sie wirklich wählen. Denn derzeit entscheidet das Volksschulzeugnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2013)

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