Ziffernoten abschaffen? Pro und kontra zur geplanten Reform

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) will, dass Volksschulen künftig leichter auf echte Noten verzichten können – und die Schüler stattdessen verbal beurteilt werden.

Kontra: Klare Noten lehren Freude an der eigenen Leistung

Erinnern Sie sich noch an die Spannung vor dem ersten richtigen Zeugnis? An die neugierigen Fragen der mindestens genauso aufgeregten Eltern und Großeltern nach der Anzahl der Sehr gut? Und an das stolze Gefühl, das Schuljahr mit einer guten Leistung beendet zu haben?
Eben. Wo, wenn nicht in der Volksschule leistet das Zeugnis so viel mehr als eine bloße Leistungsfeststellung? Es hat etwas Ritualhaftes: Es markiert den Übergang vom Kleinkind zum Schüler. Es zeigt, dass Bemühung belohnt wird und Anerkennung findet. Messbar und vergleichbar. Und – am wichtigsten – es lehrt Freude an der eigenen Leistung.
Künftig könnte Volksschülern dieses Erlebnis verwehrt bleiben. Der Wohlfühlpädagogik sind Begriffe wie Leistung und Konkurrenz schon lange ein Dorn im Auge. Es ist zu befürchten, dass die verbale Beurteilung, die Volksschulen anstelle der Ziffernoten bis zur dritten Klasse vergeben können, nicht leisten kann, was die Note leistet.
Der Schüler „hat sich beim Lesen sehr große Mühe gegeben“, dürfte dann da künftig wohl im Zeugnis zu lesen sein. Na ja. Freilich: Für persönliche lobende (und tadelnde) Worte muss Platz sein in der Schule. Sie sind wichtig. Aber, bitte, während des Jahres. Im Unterricht, beim Sprechtag. Das Zeugnis ist da, um Bilanz zu ziehen. Das müssen Kinder aushalten. Es wird ihnen nicht schaden.
Warum die verbale Beurteilung per se besser sein soll, kann übrigens niemand genau erklären. Auch hier könnten Lehrer zu bloß vorgefertigten Textbausteinen und inhaltsleeren Floskeln greifen. Man kennt das aus Dienstzeugnissen. Mit Individualisierung hat das nichts zu tun.
Eine weitere Gefahr: Ob ein Schüler gute Leistung erbracht hat oder eben nicht, könnte durch schwammige, beschönigende Formulierungen künftig gänzlich unkenntlich werden. Oder wer kann sich allen Ernstes eine Volksschullehrerin vorstellen, die einem Schüler ins Zeugnis schreibt, dass er „im Rechnen miserabel“ war? Das würde wohl mehr demotivieren als ein mahnendes Befriedigend. Nicht zuletzt kann die verbale Beurteilung zu üblen Überraschungen führen. Spätestens wenn in der vierten Klasse Volksschule die verpflichtende Ziffernote eingetragen wird, könnten die Eltern (viel zu spät) bemerken, dass sich der Nachwuchs in den vergangenen Jahren zwar „sehr bemüht“ hat, all das Bemühen nun aber doch nicht für die AHS-Reife reicht. Davon hat keiner etwas.
Wer Schüler verbal und ganz persönlich beurteilen will, der soll das gern tun. Unter den Noten wird sich auf den Zeugniszetteln sicher Platz dafür finden. (Christoph Schwarz)

Pro: Noten sagen wenig aus – lasst die Kleinen doch einfach lernen

Eins, zwei, drei, vier, fünf. Noten sind nicht unwichtig, denn Noten haben Macht. Macht über die Zukunft und den Erfolg von Kindern. Gleichzeitig sind sie aber oft ungerecht, wie mehrere Studien belegen. Es gibt zwar einen Zusammenhang zwischen Note und Leistung, dieser ist aber nur unzureichend. Soll heißen: Lehrer bewerten Schüler nicht unbedingt danach, was diese wirklich können. Das bekommen besonders Buben zu spüren.
Drei, fünf, eins, zwei, vier. Natürlich gibt es eine gewisse Willkür bei Noten, sagen manche. Aber man müsse auch lernen, mit Ungerechtigkeiten zu leben. Ja, muss man wohl. Aber nicht gerade dann, wenn man noch an den Osterhasen glaubt. Wer erst mit neun Jahren benotet wird, versäumt garantiert nichts. Kleine Kinder wollen lernen. Das oberste Gebot muss sein, diese Motivation wenigstens über einige Jahre zu erhalten. In der Volksschule sollte das Lernen noch entspannt sein. Die Kinder kommen mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule. Manche haben zu Hause schon lesen gelernt, andere wissen nicht einmal, wie man eine Schere hält. Sie sofort mit demselben Maßstab zu messen, bringt niemanden weiter. Lasst die Kleinen doch erst mal einfach lernen, ohne sie zu schubladisieren. Das kommt noch früh genug und die Pubertät setzt dem guten Willen ohnehin die Pistole an die Brust.
Eins, fünf, drei, vier, zwei. Eine Note sagt wenig aus. Hat der Siebenjährige in Mathe einen Dreier, weil er nicht besonders begabt ist? Weil er faul ist? Oder weil er total schlampig ist? Wir können der Note diese Informationen nicht entnehmen. Doch Eltern müssen wissen, woran das Kind scheitern könnte und was sie dagegen tun sollen. Eine verbale Beurteilung oder die sogenannte direkte Leistungsvorlage helfen Eltern und Kind weiter. Der Druck kommt früh genug, er ist Teil unseres Lebens. Aber er sollte nicht Teil des Lebens kleiner Kinder sein.
Fünf, vier, drei, zwei, eins. Viele Länder, die bei internationalen Leistungstests überzeugen, führen Zensuren erst in viel höheren Klassenstufen ein als Österreich. In den viel strapazierten, aber dennoch erfolgreichen skandinavischen Ländern wird bis zur achten Klasse auf Noten verzichtet. Finnland startet noch später mit ersten verbindlichen Tests. Glaubt wirklich jemand, dass Siebenjährige später nicht konkurrenzfähig sind, weil sie keine Einser, Zweier oder Dreier kennen? Dass Neunjährige, die erstmals Noten bekommen, niemals dem Druck einer Anwaltsprüfung standhalten werden? Mit Verlaub, das ist Unsinn. (Rosa Schmidt-Vierthaler)

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