Jeder sechste Volksschüler in Problemschule

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Experten fordern neue Finanzierung und Extrageld für benachteiligte Schulen. Dafür bräuchte es 20 Prozent mehr Geld. Und mehr Autonomie.

Wien. Um in Sachen Bildung weiterzukommen, muss sich Österreich der benachteiligten Schüler annehmen, fordern Experten. Genau in diesem Punkt stellen nationale wie internationale Tests Österreich regelmäßig ein schlechtes Zeugnis aus. Die Lösung wäre ein neues Finanzierungsmodell, wie es anderswo schon lange praktiziert wird: Je schwieriger die Bedingungen sind, unter denen eine Schule arbeitet, desto mehr Geld soll sie erhalten.

Derzeit hat die Zusammensetzung der Schüler so gut wie keine Auswirkung auf die Mittel, die eine Schule zur Verfügung hat. Egal, ob Brennpunkt oder nicht: Alle Schulen müssen mit den gleichen Mitteln auskommen – sieht man von den Ressourcen für die Sprachförderung ab. Ob Schüler – mit oder ohne Migrationshintergrund – womöglich aus sozial schwachen oder aus bildungsfernen Familien kommen, ist bei der Budgetverteilung völlig irrelevant.

In anderen Ländern wird das – teilweise bereits seit Jahrzehnten – anders gehandhabt: In den Niederlanden etwa gibt es für Schüler aus bildungsfernen Familien zwischen 30 und 120 Prozent mehr Geld. Mit Erfolg: PISA stellt dem Land immer wieder ein gutes Zeugnis aus, was Chancengerechtigkeit betrifft. Einige Schweizer Kantone und das deutsche Bundesland Hamburg finanzieren ihre Schulen ebenfalls teils nach sozialen Kriterien.

Schlechte Chancen

Auch für Österreich wäre so ein Modell sinnvoll, sagt der Bifie-Bildungsforscher Michael Bruneforth. Er hat die Daten der Bildungsstandards-Erhebungen analysiert, bei denen auch soziale Merkmale erhoben wurden. Demnach besucht jeder sechste Volksschüler eine Schule, die sozial sehr hoch oder hoch belastet ist, also einen hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund, anderer Muttersprache und wenig gebildeten Eltern mit schlechten Jobs (oder zumindest zwei dieser Faktoren) hat. In der Sekundarstufe eins sitzen 15 Prozent aller Schüler in einer solchen potenziellen Brennpunktschule.

Wer in einer solchen Schule ist, hat nochmals schlechtere Chancen, egal, ob der eigene Hintergrund gut oder weniger gut ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler einer hoch belasteten Schule in Deutsch nicht einmal die Mindeststandards erreichen, ist doppelt bis vier Mal so hoch wie an einer nur gering belasteten Schule. „Das zeigt, dass die soziale Ungerechtigkeit nicht nur daher kommt, dass Kinder unterschiedliche Startbedingungen haben – sondern sie kommt auch daher, dass sie je nach Schule unterschiedliche Chancen haben.“

Doppelt so viel Geld

Ein Modell, um das auszugleichen, hat der Linzer Soziologe Johann Bacher entwickelt. Für einen Schüler mit Migrationshintergrund, mit einer anderen Muttersprache als Deutsch und Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss sowie einer schlechten Position am Arbeitsmarkt würde eine Schule doppelt so viel Geld erhalten wie für einen, auf den all das nicht zutrifft.

Eine Volksschule, an der alle Schüler derart benachteiligt sind, würde also statt der bisher üblichen 6600 Euro pro Jahr 13.200 bekommen – sind es weniger benachteiligte Schüler oder weniger Benachteiligungen, entsprechend weniger (aber immer mindestens die 6600 Euro). Klar ist: Nach dem Modell bräuchte es insgesamt mehr Geld – um 15 bis 20 Prozent mehr als das, was bisher an die Schulen fließt, so Bacher. Und es bräuchte mehr Eigenverantwortung für die Schulen (siehe auch Bericht unten). „Diese Form der Mittelverteilung ist nur dann sinnvoll, wenn sie mit mehr Autonomie verknüpft ist.“

Ob das Extrageld also für Förderunterricht, Sprachkurse, Talenteförderung, für die Bibliothek oder für mehr Unterstützungspersonal ausgegeben wird – oder überhaupt für etwas anderes – sollten die Schulen am Standort entscheiden, gemeinsam mit Schulpartnern, Gemeinden und regionalen Playern, also etwa Firmen. Ob die Ziele erreicht werden, könnte man über die Bildungsstandards evaluieren – realistischerweise würden Effekte aber wohl erst in vier, fünf Jahren auftreten, meint Bacher.

Ministerin offen für Modell

Nichtsdestotrotz gibt sich Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) offen, was eine solche indexbasierte Finanzierung betrifft – sie spricht aber vor allem von möglicher Umschichtung von Ressourcen. Bei Gesprächen mit den Ländern soll das in den kommenden Monaten Thema sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2014)

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