Ferien: „Mama, mir is' sooo faaaad ...“

(c) AP (Morry Gash)
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Irgendwann in den langen Sommermonaten schlägt sie immer zu, die Langeweile. Doch für Eltern besteht kein Grund zur Panik. Denn Nichtstun kann auch sehr positive Auswirkungen auf gestresste Sprösslinge haben.

Es ist Halbzeit bei den Ferien, der Urlaub ist vorbei, die meisten Freunde sind noch weg, für das Tennis-Camp fehlt heuer leider das Geld, die Oma sagt „Nein, danke, noch einmal fahr' ich mit dem Kind nicht auf Sommerfrische“. Und dann kommt er, der Satz, der Eltern frühzeitig ergrauen lässt – vor allem, wenn er rund 600 Mal am Tag vorgebracht wird: „Mama, mir is' soooo faaaaad.“

Die Langeweile schlägt in den langen Ferienmonaten besonders gnadenlos zu. „Kein Wunder“, sagt der Sozialpädagoge Olaf Kapella vom Österreichischen Institut für Familienforschung. „Die meisten Kinder leben während des Schuljahres in einem stark strukturierten Alltag, in dem auch die Freizeitaktivitäten vorgegeben sind.“ Viele Kinder und Jugendliche treffe der plötzliche Leerlauf im Sommer daher unvorbereitet: „Sie sind plötzlich auf sich allein gestellt und wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen.“

Für Eltern besteht allerdings angesichts des fadisiert herumlümmelnden Sprösslings kein akuter Grund für Schweißausbrüche, Panikattacken oder den Zwang, sofort 50 verschiedene Beschäftigungsalternativen anzubieten. Denn Langeweile, da sind sich alle einig, kann auch sehr positiv sein – vor allem für Kinder, deren Belastungsniveau im Alltag dank Schul-, Freizeit- und Hobbystress oft knapp an das der Erwachsenen heranreicht. „Langeweile soll es sogar geben“, sagt Kapella. „Sie ist eine Herausforderung und eine Entwicklungschance. Kinder lernen, dass es eine ,lange Weile‘ geben kann, die sie aushalten müssen ohne einen Anreiz von außen zu spüren.“

Wichtig für die Kreativität

In dieser Zeit findet gleichzeitig eine wichtige körperliche und seelische Erholung statt, die wiederum Kreativität und Fantasie fördern kann. So hat die negativ besetzte Langeweile denn auch ein positives Alter ego. „Muße ist die Zeit, die nicht von vornherein verplant ist“, sagt Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. „Das ist die schöpferische Zeit für den Menschen.“

In jedem Fall lernen Kinder in diesen freiwilligen oder erzwungenen Ruhezeiten, einen Gang zurückzuschalten. Die Zäsur in einer ununterbrochenen Abfolge von Aktivitäten führt in den meisten Fällen außerdem dazu, dass die nächste Unternehmung umso mehr geschätzt wird und nicht mehr als eine von vielen kaum unterscheidbaren empfunden wird.

Eltern als Animateure?

Für die Eltern liegt die Herausforderung im Umgang mit der Langeweile ihrer Kinder daher oft weniger im „was tun“ als im „wie tun“, meinen die Experten. Sie müssen erstens lernen, die Langeweile ihrer Kinder auch zuzulassen und zu akzeptieren, dass stundenlanges „Chillen“ (abhängen, faulenzen) für Eltern zwar höchst irritierend, für den Nachwuchs aber recht erfrischend sein kann; und sie müssen lernen, wie man Beschäftigungsangebote zielführend anbringt. „Die Eltern sollten sich nicht als die Animateure der Kinder verstehen. Man kann Anregungen geben, ruhig auch ein bisschen manipulieren. Wichtig aber ist, dass die Kinder auswählen und mitentscheiden können“, sagt Zellmann.

Die Wahl der Aktivität birgt aber Sprengstoff. Viele Eltern glaubten fälschlicherweise, es gebe diesinnvolle Freizeitbeschäftigung, warnt Zellmann. Aus der Sicht der Erwachsenen zählen dazu aber weder Fernsehen – die nachgewiesene Lieblingsbeschäftigung der Sechs- bis 13-Jährigen –, wohl aber Bücher – bei den Kindern ganz weit unten auf der Liste der Freizeitaktivitäten (siehe Grafik).

Viele Eltern sehen daher in den Ferien einen günstigen Zeitpunkt, um Einstellungen und Verhalten ihrer Sprösslinge zu korrigieren, frei nach dem Motto: „Dir ist eh fad, lies doch ein Buch“. Laut Zellmann könnte das allerdings kontraproduktiv sein: „Nur der junge Mensch selbst erkennt wirklich, welche Beschäftigung für ihn sinnvoll ist“, meint er. „Außerdem: Wer das ganze Jahr vor dem Computer und dem Fernseher sitzt, wird das auch in den Ferien tun.“ Das habe nichts mit Langeweile zu tun.

Ein anderer Ansatz, der auch zur Umformulierung des Konzepts „Langeweile“ passen würde, wäre es, sich jenen Beschäftigungen des Kinder anzunähern, die der Erwachsene als Ausdruck von Fadesse empfindet. So erhält man mehr Einblick – und vielleicht auch die Chance, die Dinge sanft zu ändern.

KIM-Studie 2006

AUF EINEN BLICK

Langeweile ist ein Leiden, das Kinder und Jugendliche oft in den Ferien befällt. Pädagogen empfehlen Eltern, sich nicht als Animateure zu versuchen, sondern Untätigkeit ohne Außenreiz hin und wieder zuzulassen. Diese bringe nämlich auch physische und psychische Erholung und diene damit der Förderung der Kreativität. Schwieriger ist es mit Beschäftigungen, die die Kinder als sinnvoll erachten, die
Eltern aber als Ausdruck von Fadesse. Hier bieten sich die Ferien für eine Annäherung der Standpunkte an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2008)

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