Mahrer an Berliner Schulen: „Bist du der König von England?“

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Staatssekretär Harald Mahrer sah sich an Berliner Schulen um. Er kam mit Ideen für die Frühförderung, mehr Autonomie und ein Anrecht auf einen Ganztagsschulplatz zurück.

Wien. Einmal muss die Delegation um Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) in Berlin mit Gegenwind klarkommen – als sich ein paar Kinder im Kreuzberger Kindergarten beim Spielen gestört fühlen und lautstark protestieren. Das könnte damit zu tun haben, dass ein paar von ihnen kurz zuvor enträtselt haben, dass es sich bei den Krawattenträgern um Politiker handelt („Bist du der König von England? Bist du Angela Merkel?“). Mahrer lässt sich von seiner Mission trotzdem nicht abbringen: schäkert etwas unbeholfen mit den Kleinen, zeigt sich beeindruckt von den großzügigen Räumen, die da in einem früheren Parkhaus entstanden sind.

Ziel dieser Mission – für die er ein Dutzend Bildungspolitiker und Experten mit dabei hat, von Autor Andreas Salcher und Uni-Professorin Christiane Spiel über den umtriebigen AHS-Lehrer Daniel Landau bis zu ÖVP-Jungpolitiker Asdin El Habbasi: Fakten finden, die die Debatte in Österreich bereichern sollen. Oder, wie Mahrer später formuliert, einen ersten Schritt tun, um diese Debatte zu entideologisieren, zu entkrampfen. Um letztlich den Kurs des Dampfers Bildungspolitik zu ändern, der ähnlich der Titanic in Richtung Eisberg steuere. So viel zur Dringlichkeit.

Die Türschilddebatte sei dabei jedenfalls kontraproduktiv, das wird man von Harald Mahrer noch mehrfach hören. Sie verdecke die eigentlichen Probleme. Sein Credo: früh anfangen, statt später zu reparieren. Sprache, Förderung, der Übergang in die Schule und die Volksschule selbst. „Wenn Elementarbereich und Volksschule gut funktionieren, sind 70 Prozent aller Probleme gelöst“, sagt er irgendwann zwischen einer Debatte über digitales Lernen („darauf muss man setzen“) und dem Kindergartenbesuch.

Anrecht auf Ganztagsplatz

Ein paar Stunden zuvor in der Erika-Mann-Grundschule, einer Brennpunktschule im Arbeiterbezirk Wedding. Der Staatssekretär sitzt Probe in einem Sessel, der an eine Drachenklaue erinnert und lässt Salcher, Landau und Spiel die Fragen stellen. Ihn beeindruckt das Angebot rund um die Schule. Zwischen sechs Uhr früh und halb sieben Uhr abends können Kinder (falls nötig) betreut und gefördert werden – zwölf Monate im Jahr. Ein Modell für Österreich? Durchaus. „Es wird immer wieder argumentiert, es gebe den Bedarf nicht. Ichsehe ihn aber überall.“

Vorstellbar wäre sogar ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Schule (solange kein Zwang dabei ist): „Wenn wir es finanzieren können, ja. Das ist etwas, was wir auf alle Fälle debattieren werden.“ Denkbar auch für den Kindergarten – wie in Deutschland der Fall. „Für die, die es brauchen, muss es die Möglichkeiten geben. Wenn man draufkommt, dass das nur über den Rechtsanspruch geht, wäre das ein vernünftiges Mittel.“

Schützenhilfe (und bisweilen Stichworte) bekommt er von Jörg Dräger: Mit dem Bildungschef der Bertelsmann-Stiftung ist Mahrer schon länger in gutem Kontakt und über weite Strecken ganz auf einer Linie. „Wir streiten meistens über das Falsche“, sagt Dräger vor der Delegation. „Über die Schulstruktur, die föderale Zuständigkeit, die Klassengröße.“ Dabei seien Ganztagsschule und Frühförderung eigentlich zentral. Ebenso wie Transparenz und Autonomie.

Autonomie stehe in der Regierung ohnehin auf dem Plan, meint dazu Mahrer. Was das konkret umfasst, müsse aber erst ausdefiniert werden. Was Transparenz angeht, so will Mahrer mehr davon: Die Ergebnisse der Bildungsstandards sollten für die einzelnen Schulen veröffentlicht werden. „Das muss man schrittweise einführen, aber ich hätte nichts dagegen.“ Und wenn sich die Bund-Länder-Gruppe, die bald ein erstes Mal tagen soll, auf Bildungsziele geeinigt hat, brauche es einen Kassasturz.

„Es gibt eine gigantische Erwartungshaltung“, sagt Andreas Salcher. „Und in den kommenden zwei, drei Monaten auch ein Window of Opportunity.“ Daniel Landau – der mit Mahrer gemeinsam die Bildungs-NGO Jedes Kind gegründet hat, aus der Mahrer bei der Regierungsumbildung ausgestiegen ist – sieht die Politik am Zug: „Dass hier einer der höchsten Repräsentanten der ÖVP wirklich Interesse zeigt, ist mehr als ein Zeichen“, sagt er. „Es wird immer mehr Menschen in der Politik bewusst, dass es so nicht weitergeht.“

Macherinnen und Macher

Wie es (ganz anders) funktionieren kann, zeigt jedenfalls die Evangelische Schule Berlin Zentrum. Zugegeben: Sie hat als private Schule mit größtenteils besser gebildeter Klientel einen Vorteil. Das Klima der Wertschätzung und des Zutrauens beeindruckt aber in jedem Fall: Die Schüler scheinen glücklich, sind eloquent, selbstbewusst. Frontalunterricht, Gleichschritt: alles längst passé hier. Gearbeitet wird eigenständig. Herausforderung und Verantwortung stehen sogar auf dem Lehrplan. Nicht nur der Staatssekretär – auch fast der ganze Rest der Delegation: begeistert.

e„Das waren lauter kleine Macherinnen und Macher“, wird Mahrer später sagen. „Wenn man es intelligent macht, verlieren die Kinder nie die Neugier. Sie lernen, eigenverantwortlich zu sein, mit klarem Zug zum gemeinsamen Handeln und bereit für neue Lösungen.“ Was zu einem zweiten Thema führt: dem Unternehmertum. Hier gilt: Wien soll Berlin werden.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels war die Rede davon, Daniel Landau sei der einzige prononcierte Gesamtschulbefürworter in der Runde. Das ist so nicht ganz korrekt: Auch andere in der Delegation plädieren für die gemeinsame Schule.

Enquete

Weiterhin soll nach Lösungen für die Bildung gesucht werden. Für 9. Dezember hat das Wissenschaftsministerium von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner eine Enquete mit dem Titel „Bildung für die Wissensgesellschaft“ initiiert. Die Veranstaltung soll überparteilich sein: Eingeladen sind u.a. Bildungssprecher aller Parteien und Stakeholder aus allen möglichen Bereichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2014)

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