Weder gute noch schlechte Schüler profitieren von Noten

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THEMENBILD: SCHULSCHLUSS/ZEUGNIS(c) APA (Harald Schneider)
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Für gute Schüler spielen Noten kaum eine Rolle, auf schlechte wirken sie sich negativ aus. In Österreich verzichten immer mehr Volksschulen auf Ziffernnoten.

In den östlichen Bundesländern stürmten die Kinder schon vergangenen Freitag mit ihren Schulnachrichten aus den Klassen, in den übrigen wird es bald so weit sein. Wenn Großeltern in den Tagen danach ihre Geldbörsen zücken und die Volksschüler für ihre Einser belohnen wollen, wird es allerdings einige Überraschung geben. Denn auf den sogenannten Zeugnissen – offiziell ist die Rückmeldung zur Halbzeit nämlich kein Zeugnis – finden sich in vielen Fällen gar keine Noten.

Stattdessen stehen dort Sätze wie: „Die Erziehungsberechtigten wurden in ausführlichen Gesprächen von den Lehrern über Lernstand und Lernfortschritt informiert.“ Viele Schüler bekommen auch eine ganze Mappe mit, in der alle Details des Leistungsstandes aufgelistet sind, von „Der Schüler schreibt die Wörter am Satzbeginn groß“ bis zu „Der Schüler kann einen Nagel einschlagen“.

Der Grund, warum viele Schulen und Lehrer in der Volksschulzeit (und manche auch später noch) Noten ablehnen, ist einfach: Eine Ziffer von eins bis fünf könne nicht ausreichend über die Leistungen der Kinder informieren, sagen sie. Zu viele Informationen müssten hineingepackt werden. Und vor allem sei eine Ziffer nicht motivierend, denn der individuelle Fortschritt werde dabei nicht erfasst. Diese Annahme wird nun auch durch eine aktuelle Studie bestätigt: Eine groß angelegte staatliche und als neutral geltende Untersuchung aus Schweden kommt zu dem Ergebnis, dass Schulnoten für den Lernwillen der Schüler bestenfalls irrelevant sind.

Der staatliche schwedische Wissenschaftsrat hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von umfangreichen Forschungsprojekten zum Thema Schule durchgeführt. Bei der riesigen State-of-the-Art-Untersuchung zum Effekt von Schulnoten auf das Lernen von Schülern haben die schwedischen Wissenschaftler insgesamt 6000 Forschungsartikel analysiert. Genauer unter die Lupe genommen wurden 500 für das Thema besonders aussagekräftige Artikel.

Die aktuelle Forschungsliteratur zum Thema Schulnoten und Lernen deutet demnach darauf hin, dass die Benotung für das Lernen nicht so wichtig ist, wie früher angenommen wurde. „Bessere Schüler können Noten zwar ein kleines bisschen anspornen, aber generell spielen sie keine große Rolle“, sagt Christian Lundahl, Pädagogikprofessor an der schwedischen Universität Örebro.

Der negative Effekt ist viel stärker

Hingegen würde die Notenskala Schüler mit schlechten Leistungen nicht dazu motivieren, sich zu verbessern. Noten sollen gar einen direkt negativen Effekt auf die schwachen Schüler haben, denn ihr Selbstbild werde negativ beeinflusst, heißt es im Bericht. „Der negative Effekt von Schulnoten auf schlechte Schüler ist viel stärker als der positive Effekt auf gute Schüler“, sagt Professor Lundahl. Generell hätten Schulnoten auf das Lernen keinen großen Effekt.

„Wenn man Probleme in der Schule hat, braucht man Feedback mit einem optimistischen Blick auf die Möglichkeiten, die Schule zu meistern. Das ist, laut Forschung, einer der wichtigsten Faktoren, um schwachen Schülern zu helfen“, so Lundahl gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Radio Schweden SR. In Schweden erhalten Schüler seit einiger Zeit Noten erst ab der sechsten Klasse, derzeit wird die Einführung von Noten ab der vierten Klasse diskutiert.

Schulversuch seit 50 Jahren

In Österreich ist der Verzicht auf Noten derzeit noch ein Schulversuch – allerdings ein sehr beliebter: Mittlerweile gibt es bundesweit mehr als 1800 derartige Versuche. Das sind um rund 300 mehr als fünf Jahre zuvor. Besonders beliebt sind etwa Varianten, in denen Kinder (auch) selbst ihre Fortschritte dokumentieren, oder Mappen, in denen Arbeiten zu den entsprechenden Lernzielen gesammelt werden und direkt begutachtet werden können. Die verbale Beurteilung ist der wahrscheinlich älteste noch laufende Schulversuch: Im Jahr 2016 feiert er sein 50-Jahr-Jubiläum.

In den einzelnen Bundesländern gehen die Schulen sehr unterschiedlich mit den alternativen Beurteilungen um. Am liebsten lässt man in Oberösterreich und Wien die Noten weg: In der Bundeshauptstadt laufen aktuell 300 Versuche an 264 Schulen. In Oberösterreich sind es 597 Versuche an 560 Schulen. Dass es hier mehr Schulversuche als Volksschulstandorte gibt, liegt daran, dass an einem Standort durchaus auch unterschiedliche Versuche möglich sind.

Am seltensten wird übrigens in Kärnten alternativ beurteilt, hier gibt es nur 16 Schulversuche an 236 Schulen. Auch in Tirol sind lediglich 72 Versuche an 378 Volksschulen angemeldet. Hier können die Großeltern also noch darauf vertrauen, dass das Zeugnis der Enkel nicht viel anders aussieht als ihres damals.

AUF EINEN BLICK

Benotung. Wenn Noten komplett weggelassen und durch andere Beurteilungsformen ersetzt werden, muss ein Schulversuch genehmigt werden. Allerdings können Eltern Noten im Jahreszeugnis verlangen. In der vierten Klasse Volksschule sind sie vorgeschrieben. Laut dem Sechs-Punkte-Bildungsprogramm der Regierung soll der Verzicht auf Ziffernnoten bis zur dritten Schulstufe im Zuge des geplanten Ausbaus der Schulautonomie erleichtert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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