Neue Mittelschule: "Nachhilfe" besser als zwei Lehrer im Unterricht

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Dass AHS-Lehrer als Zusatzlehrer in die Neue Mittelschule geschickt wurden, sei ein „unglückliches und bevormundendes Modell“ gewesen, sagt Ferdinand Eder, der für die Evaluierung der NMS verantwortlich war.

Die Presse: Wenn man es nicht schaffe, die Neue Mittelschule qualitativ aufzuwerten, dann hätte man 300 Millionen Euro in den Sand gesetzt, sagte ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner unlängst. Stimmen Sie dem zu?

Ferdinand Eder: So kann man das nicht sagen. Erstens: An den Schulstandorten, an denen die Idee der NMS gut umgesetzt wurde, sind gute Ergebnisse erzielt worden. Zweitens konnte man Erfahrungen sammeln, wie man ein Schulsystem ändern kann, und wie eben nicht.

Ein mäßiges Resultat für die hohen Investitionen?

Bei einer Schulreform kann man nicht sagen: Wenn ich um x Euro mehr investiere, dann steigt die Leistung sofort um y. So läuft das nicht; Veränderung braucht Zeit.

Die Lehrergewerkschaft kritisierte, dass die Reform von „Schreibtischtätern“ initiiert und umgesetzt wurde und keine Rücksicht auf die Praxis nahm.

Eine Innovation ist per definitionem etwas Neues. Diese muss– auch wenn es komisch klingt – von „Schreibtischtätern“ erfunden werden. Ansonsten hätten wir nur die Weiterführung des Bestehenden.

Auf Basis Ihres Berichts sollte entschieden werden, ob die NMS flächendeckend eingeführt wird. Die Regierung wartete aber nicht darauf und führte die NMS im ganzen Land ein. Hätte die Entscheidung so erfolgen dürfen?

Die Wissenschaft kann der Politik nicht vorschreiben, wie sie zu ihren Entscheidungen kommt. Die NMS war ein Deal. Die SPÖ wollte die Gesamtschule, die ÖVP die Beibehaltung der AHS-Unterstufe. So wurde halt getauscht. Ich halte eine solche Vorgehensweise für unzeitgemäß. Immerhin kann die Politik auf Expertisen zurückgreifen. Das wird international durchgehend stärker getan als in Österreich.

Was hätten Sie der Politik nun auf Basis des Berichts empfohlen?

Wir hätten sagen können, dass das undifferenzierte Verteilen von finanziellen Mitteln an alle NMS – wie es passiert – die Leistung der Schüler nicht verbessert. Schulen, an denen es schwieriger ist zu unterrichten, sollten mehr Ressourcen erhalten als andere. Außerdem waren die verkündeten Reformziele zu hochtrabend. Es wurde suggeriert, dass mit jeder Klasse das Niveau der AHS-Unterstufe erreicht werden kann, wenn man nur genügend Pädagogik hineingibt.

Ist das definitiv nicht möglich?

Nein. Denn man hat einen wichtigen Faktor nicht berücksichtigt – die Schülerschaft, die für die NMS zur Verfügung steht. Sie ist von ihrem intellektuellen Potenzial und ihrer sozialen Zusammensetzung her nicht mit der Schülerschaft der AHS-Unterstufe zu vergleichen.

Die Lehrergewerkschaft meinte, dass die Sozialromantiker falsch lagen und die Schlechteren eben nicht von den Besseren lernen und umgekehrt. Stimmt das?

Mit unseren Ergebnissen kann man das nicht beurteilen. Weil die Schüler, die man als die „Besseren“ versteht, ja gar nicht dabei waren.

Was bedeutet das für die Sinnhaftigkeit einer Gesamtschule?

Wir hätten mit Sicherheit nicht empfohlen, sie so umzusetzen, wie das jetzt gemacht wurde. Eine Gesamtschule ohne die Schüler der AHS-Unterstufe hat keinen Sinn, weil sie keine Gesamtschule ist.

Kürzlich wurde eine Reform des Teamteachings – des gemeinsamen Unterrichts – beschlossen. Die sechs Zusatzstunden dürfen nun auch in Nebenfächern eingesetzt werden. Ein guter Schritt?

Es geht in die richtige Richtung. Die Frage ist, ob das bestehende System für eine effiziente Förderung der Schüler flexibel genug ist.

Was meinen Sie damit?

Möglicherweise ist die Grundidee der "Nachhilfe", dass ein Schüler in einem bestimmten Fach extra Förderung braucht und diese eine Zeitlang außerhalb des Unterrichts erhält, wirksamer als jene des generellen Einsatzes zweier Lehrerinnen oder Lehrer. Für die Wirksamkeit des Teamteachings gab es bei der Evaluierung keine Belege.

Nachhilfe statt Teamteaching?

Mit der individuellen Förderung im Unterricht – die im Konzept der NMS zentral ist – stoßen wir an die organisatorischen Grenzen der Schule, die ja auf die Unterrichtung von Gruppen ausgerichtet ist. Eine solche "Nachhilfe" müsste natürlich anders finanziert werden – also nicht durch die Eltern.

Die Idee war, dass an den NMS auch AHS- und BHS-Lehrer unterrichten. Das soll nun fallen. Verliert die NMS da etwas?

Das war ein unglückliches und bevormundendes Modell, das mit einer Kränkung der Hauptschullehrer verbunden war. Es kam häufig zu Schwierigkeiten in der Kooperation: Die Vorbereitungsarbeit blieb an NMS-Lehrern hängen, und oft wurden nicht die besten AHS- und BHS-Lehrer an die NMS geschickt.

Kritisiert wurde auch die siebenteilige Notenskala. Zu Recht?

Es ist ein kurioses System, das nicht in das NMS-Konzept passt. Durch die Unterscheidung von grundlegender und vertiefter Bildung wird wieder durch die Hintertür die Unterscheidung zwischen Hauptschule und AHS eingeführt. Technisch entspricht das der Notengebung in den Leistungsgruppen.

Zurück zu Eins bis Fünf?

Die Frage ist, wie viele Noten wir überhaupt brauchen. Das Ziel der Schulentwicklung ist es, Kompetenzen und nicht bloß Wissen zu vermitteln. Demnach müsste auch die Leistungsbeurteilung Auskunft darüber geben, welche Kompetenzen Schüler erreicht haben.

Würden Sie den AHS empfehlen, zu NMS zu werden?

Es spricht nichts dagegen und viel dafür. Das Konzept der NMS propagiert eine intensive Unterstützung jedes Kindes. Die AHS hat häufig noch die Perspektive: Friss Vogel oder stirb. Wenn sich die AHS mit der gleichen Intensität um ihre Schülerschaft kümmern würden wie die NMS, dann könnte es einen Qualitätssprung geben.

Gab es bei Ihrem Bericht politische Änderungswünsche?

Es gab keinen substanziellen Versuch, Ergebnisse wegzureden oder zu verschweigen. Es wurde aber über Formulierungen gesprochen. So quasi: Muss es wirklich ganz drastisch dargestellt werden und muss man Journalisten schon die Sätze zum Fressen hinwerfen?

ZUR PERSON

Ferdinand Eder (1948) ist Erziehungswissenschaftler an der Uni Salzburg. Er war federführend für den viel beachteten Evaluierungsbericht zur Neuen Mittelschule verantwortlich, der zeigte, dass die NMS in vielen Bereichen nicht besser ist als die Hauptschule. [ Archiv ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2015)

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