Zentrale Tests: Aufstand gegen „Communist Core“ in den USA

(c) REUTERS (BRENDAN MCDERMID)
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Ganze Schulklassen in den USA boykottieren den Common Core in Mathematik und Englisch. Die Schulreform der Präsidenten Bush und Obama versinkt in Missmanagement.

Washington. Wenn in den USA ein gesellschaftliches Problem das Interesse des Komikers John Oliver erweckt, heißt das für die Verantwortlichen üblicherweise nichts Gutes. Vergangene Woche knüpfte sich Oliver in seiner „Last Week Tonight“-Show die Tests vor, welche die Mathematik- und Englischkenntnisse amerikanischer Schüler aller Klassen nach den Common Core State Standards prüfen. Mit skurrilen Videoclips und scharfer Zunge führte er die Absurditäten dieser Bildungsreform vor: Von bizarren Textbeispielen, in denen sich eine sprechende Ananas einen Wettlauf mit einem Hasen liefert, über einen mehrfach diplomierten Hochschullehrer, der am Verständnis der Prüfungsaufgaben für Volksschüler scheiterte, bis zu früheren Korrektoren, die zu Protokoll gaben, dass sie von ihren Vorgesetzten angewiesen worden seien, Noten nicht danach zu vergeben, wie gut ein Schüler die Fragen beantwortet hat, sondern ähnlich viele Einser, Zweier, Dreier, Vierer und Fünfer zu verteilen wie im Vorjahr.

Jim Propst sieht diesen Beitrag mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Wir Lehrer schauen uns das alles an und sagen: Ja, genau so ist es“, erklärt er im Gespräch mit der „Presse“. Propst, der unter anderem in Salzburg studiert und in Wien Englisch unterrichtet hat, ist Deutschlehrer in North Carolina. Common Core betrifft seinen Unterricht nicht unmittelbar, das wachsende Phänomen standardisierter Tests aber sehr wohl. „Die Kinder mögen es nicht, die Lehrer mögen es nicht, aber wenn wir dagegen protestieren, heißt es von den Schulbehörden: Gut, dann verliert ihr euren Job.“

Widerstand von rechts bis links

Seit einigen Monaten wächst der Widerstand gegen Common Core, in manchen Teilstaaten werden die Tests weitreichend boykottiert. Mehr als 200.000 Schüler im Staat New York haben zuletzt nicht an den Tests teilgenommen. Sie sind ins Kreuzfeuer mehrerer Gruppen gekommen, die sonst nie im selben Boot zu finden sind: So gut wie jeder republikanische Präsidentschaftskandidat geißelt sie als „Communist Core“, die Lehrervertreter laufen Sturm, und selbst politisch neutrale Elternvereine und Schulleiter sind frustriert.

Dabei war Common Core lange unumstritten. Denn Demokraten und Republikaner waren in seltener Einigkeit davon überzeugt, dass standardisierte Tests helfen, benachteiligten Kinder zu helfen, schlechte Lehrer herauszufiltern und gute zu honorieren. In einer seiner ersten Amtshandlungen unterzeichnete Präsident George W. Bush Anfang 2001 ein Gesetz namens „No Child Left Behind“, das vorsah, dass von der dritten bis zur zwölften Schulstufe jedes Kind jedes Jahr in Mathematik und Englisch getestet wird. 2009, ebenfalls nicht lange nach seinem Amtsantritt, legte Nachfolger Barack Obama mit dem „Race to the Top-“Programm nach: Schulen, die besonders gut abschneiden, sollten zusätzliche Bundesmittel erhalten; ansonsten sind für die Schule Kommunen und Teilstaaten zuständig. Um die pädagogischen Leistungen zu messen, beschloss die Konferenz der Gouverneure gemeinsam mit der Vereinigung der Schulbehördenleiter die Common Core State Standards. Doch in der Umsetzung passierte der Kardinalfehler: Man überließ dies großteils der Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates und vergab millionenschwere Aufträge für die Erstellung von Lehrmaterialien und zur Durchführung der Tests an den britischen Medienkonzern Pearson. Laut „Washington Post“ kontrolliert Pearson heute 39 Prozent des Marktes für Schultests und verdient laut einer Studie der Brookings Institution allein damit pro Jahr eine Viertelmilliarde Dollar.

Die Lehrer fühlen sich entmündigt. Sie müssen Stillschweigensvereinbarungen unterzeichnen, die es ihnen verbieten, selbst nach den Tests konkrete Fragen zu veröffentlichen. „Wenn ich selbst einen Test verfasse und sehe, dass alle Schüler Frage vier falsch haben, kann ich daraus schließen, dass sie schlecht oder falsch formuliert war oder ich den Stoff nicht gut unterrichtet habe“, sagt Jim Propst. „Aber mit den standardisierten Tests wissen wir nicht, was das Problem war. Wie sollen wir da unterrichten?“

Wie es weitergeht, ist offen. Immer mehr der 45 Teilstaaten, die Common Core eingeführt hatten, machen das rückgängig. Die Brookings Institution kommt in einer Studie zum Schluss, dass die Verbesserungen für die Schüler „nur klein“ und innerhalb der statistischen Schwankungsbreite seien. Jim Propst jedenfalls hat sich seine Rückkehr in den amerikanischen Lehrerberuf nicht so bürokratisch vorgestellt: „Im Vergleich mit Amerika ist es in Österreich tausendmal besser.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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