Gesamtschule: Häupl rechnet mit Versuchen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Bildungsreformkommission wird am Wochenende auch über Gesamtschul-Modellregionen verhandeln. Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) geht von Lockerungen bei der Einführung aus. Wien stehe dafür zur Verfügung.

Wien. Im Endspurt der Verhandlungen zur Bildungsreform taucht ein altbekanntes Streitthema zwischen den beiden Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP wieder auf: die Gesamtschule. Es war Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) – einer der acht Bildungsverhandler –, der es gestern, Dienstag, erneut aufs Tapet brachte. Häupl rechnet, wie er bei einem Hintergrundgespräch verriet, nämlich damit, dass den Bundesländern durch die Bildungsreform die Modellregionen für die Gesamtschule erlaubt werden sollen.

Mit diesen Vermutungen ist er nicht ganz allein. Denn auch Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ließ bereits Ähnliches anklingen. Am 15. und 16. November – also einen bzw. zwei Tage vor der Präsentation – werde das Verhandlungsteam über die Gesamtschule debattieren. „Die Vorstellung ist, dass jedes Bundesland in einem Bezirk eine solche Modellregion umsetzen kann“, sagte Haslauer in der vergangenen Woche im Salzburger Landtag.

Offiziell will man das weder im Bildungsministerium noch im Büro von Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) bestätigen. Dem Vernehmen nach dürfte das Thema Gesamtschule aber tatsächlich am Sonntag und Montag, also beim nächsten und zugleich letzten Treffen der Reformkommission, Thema sein. Die einzelnen Arbeitsgruppen dürften schon entsprechende Vorbereitungen getroffen haben. Auf politischer Ebene sei das Thema im Zuge der Bildungsverhandlungen aber noch nicht debattiert worden.

Gesetzesänderung im Bund?

Bislang können einzelne Bundesländer nicht einfach eine Modellregion für die Gesamtschule einführen. Da gibt es einige rechtliche Hürden. Denn, wenn ein Bundesland die Gesamtschule als Schulversuch einführen will, müssen an jedem teilnehmenden Schulstandort je zwei Drittel der Lehrer und Eltern zustimmen. Außerdem darf bundesweit kein Schulversuch an mehr als zehn Prozent der Gymnasien stattfinden, an denen es für einen Gesamtschulversuch Veränderungen geben müsste. Eine Lösung dafür, die Tirol und Vorarlberg seit Längerem einfordern: eine Änderung der Gesetze auf Bundesebene mit Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Die schwarz-grüne Landesregierung von Günther Platter (ÖVP) hat vor gut einem Jahr eine Gesamtschulmodellregion im Zillertal eingerichtet. Möglich ist das, weil es dort keine AHS-Unterstufe gibt – weshalb es sich für Kritiker ohnehin nicht um einen Gesamtschulversuch handelt, sondern schlicht um ländliche Normalität.

Das ebenfalls schwarz-grüne Vorarlberg konkretisiert gerade seine Ideen. Bis Jahresende soll es einen Stufenplan geben. Das Ziel: In den kommenden acht bis zehn Jahren soll landesweit die Gesamtschule umgesetzt werden. In Salzburg, wo auf Landesebene ebenfalls ein Versuch paktiert wurde, wollte man die Bildungsreform abwarten.

Wien will Modellregion sein

Was der Bildungsreformkommission konkret vorschwebt, ist auch in Verhandlerkreisen nicht ganz klar. Während Haslauer von einem Modellbezirk pro Bundesland spricht, gehen die Vorstellungen von Wiens Bürgermeister Häupl offenbar deutlich weiter. In den laufenden Koalitionsverhandlungen sei man mit den Grünen einer Meinung: „Wir wollen Wien als Modellregion haben, wenn es Modellregionen gibt“, sagte Häupl gestern. „Wir werden uns darum bewerben.“ Eine Umsetzung werde aber naturgemäß dauern. Häupl rechnet mit einem Zeithorizont von rund zehn Jahren.

AUF EINEN BLICK

Die Geschichte der Bildungsreform begann am 15. Oktober 2014. An diesem Tag setzte die Regierung nicht nur eine Arbeitsgruppe zur Steuerreform, sondern auch zur Bildungsreform ein. Erstere wurde eifriger angegangen und kam schon am 17. März zu einem Abschluss. Am kommenden Dienstag, dem 17. November, will die Bundesregierung nun auch endlich die Ergebnisse zur Bildungsreform präsentieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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