Mädchen lesen nicht besser, nur schneller

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Lesen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn: Darin war man sich bei den Tagen des Lesens einig. Für viele Kinder – auch mit deutscher Muttersprache – sei lesen lernen aber harte Arbeit.

Wien. Sie sei ein Beispiel dafür, was geschieht, wenn Kinder sprachlich gefördert werden, erzählte die Bielefelder Philologin Yüksel Ekinci-Kocks: „Meine Eltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland, als ich sechs Jahre alt war. Ohne irgendwelche Deutschkenntnisse wurde ich von Studenten in die Bibliothek mitgenommen. Wenn ich damals nicht gefördert worden wäre, wäre ich heute nicht hier.“ Das Lesen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn: Darin war sich das Podium bei den Tagen des Lesens des Wiener Stadtschulrats einig, das am Donnerstagabend – moderiert von „Presse“-Herausgeber Rainer Nowak – über Leseförderung, Muttersprache und Problemfälle diskutierte.

Über die Buben zum Beispiel – die laut Bildungsforscher und Ex-Bifie-Chef Günter Haider gar nicht so ein großer Problemfall sind, wie Lesestudien suggerieren: Die Mädchen lesen nicht besser – nur schneller. „In fairen Tests gibt es keine Unterschiede.“ Nachdem man nun seit 15 Jahren versuche, ein Bild von der Lesekompetenz an den Schulen zu bekommen, müsse nun der zweite Schritt folgen, sagte Haider: „Lesekompetenz individuell fördern und messen.“ Für die Lehrer sei das eine Herausforderung. „Lehrer müssen selbst diagnostisch tätig sein. Das ist die Voraussetzung, um Kinder individuell fördern zu können.“ Lesen sei Thema für jede Schule, jeden Lehrer, jedes Fach, sagte Wiens Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky (SPÖ). „Umso wichtiger ist es, das richtige Handwerkszeug für Lehrer anzubieten. Das wollen wir weiter verstärken, denn bei der Lesekompetenz ist noch sehr viel Luft nach oben.“ Die derzeitige Förderung reiche offenbar nicht aus, sagte die Wiener Pflichtschulinspektorin Elisabeth Fuchs. Leseförderung funktioniere nur in der Kleingruppe und brauche Zeit. „Für viele Kinder – auch mit Deutsch als Muttersprache – ist lesen lernen harte Arbeit.“

„Inseln der Sprachlosigkeit“

Dass Lehrer mehr darüber wissen, wie Spracherwerb funktioniert, sei angesichts der steigenden Zahl an Kindern mit anderen Muttersprachen als Deutsch wichtig, sagte Professorin Ekinci-Kocks. Das sollte Teil des Studiums sein. Und es gehöre mehr darüber geforscht, wie man Kindern, die Deutsch als zweite Sprache lernen, Lesen beibringt.

Auch die Idee der Mehrsprachigkeit müsse an den Schulen ankommen, forderte „Presse“-Kolumnistin Sybille Hamann. „Wir stellen an einzelnen Schulen Inseln der Sprachlosigkeit fest, da sich Kinder für ihre Muttersprache schämen oder zu Hause nicht gefördert werden und Deutsch nicht gut genug können.“ Dabei sei Sprache etwas ganz Zentrales: „Sprache sichert einen Platz in der Welt.“ (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2016)

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