Wenn Begabte zu Fünferkandidaten werden

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Die Schulpolitik fokussiert auf den Durchschnitt – und auf die schwächeren Schüler.

Wer die besten Noten bringt, ist in den österreichischen Schulen selten derjenige, um den sich die Mitschüler scharen. Wer zu oft aufzeigt, will sich dem Lehrer anbiedern. Wer interessierter ist als der Durchschnitt, ist der Streber. Und als solcher – man weiß, wie brutal pubertierende Schüler sein können – sozial schnell unten durch. Wer in der Schule Überdurchschnittliches leistet oder leisten will, der gerät hierzulande bisweilen unter Rechtfertigungsdruck. Zugespitzt könnte man fast sagen: Der braucht genügend Selbstvertrauen, um sich nicht doch irgendwann davon abbringen zu lassen. Der Streber.

Was wohl jeder in dieser oder jener Form (mit)erlebt hat, sagt ganz schön viel darüber aus, wie Lernen, Schule, Bildung in Österreich gesehen werden. Und das in einem Land, in dem Politiker gefühlt einmal pro Woche darauf hinweisen, dass wir keine natürlichen Ressourcen haben. Und daher auf die klugen Köpfe setzen müssen. Sonst ist es bald vorbei mit dem Wohlstand.


In der Durchschnittsfalle. Mit den Spitzenleistungen ist es in Österreich trotzdem so eine Sache. Der Genetiker Markus Hengstschläger brachte es einst ziemlich gut, wenn auch gewohnt plakativ, auf den Punkt: „Wir sitzen in der Durchschnittsfalle“, warnte er damals. Die oberste Maxime des Bildungssystems sei der durchschnittliche Alleskönner. Und nicht nur, dass außergewöhnliche Stärken dabei nicht gefördert würden. Sie würden teils sogar als störend empfunden. Das vorrangige Ziel sei, den Durchschnitt zu heben.


Vorn und hinten schwach. Tatsächlich scheint es vor allem darum zu gehen, seit Österreich in internationalen Bildungsvergleichen regelmäßig auf den hinteren Plätzen landet. Vieles dreht sich dabei – nicht zu Unrecht – um die schwachen Schüler. Dass jeder fünfte 15-Jährige nicht sinnerfassend lesen kann, ist in der Tat dramatisch und verdient maximale Aufmerksamkeit und Förderung. Zugleich entsteht aber bisweilen der Eindruck, dass über die besonders schwachen Schüler die besonders starken vergessen werden. Was diese angeht, sieht es in Österreich nämlich auch nicht sonderlich gut aus.

Bei den Volksschulstudien PIRLS und TIMSS hat Österreich den geringsten Anteil an Spitzenlesern und einen verschwindend geringen Anteil an sehr guten Mathematikschülern. Beim Lesen sind nur fünf Prozent der Volksschüler spitze, in Mathematik sind es überhaupt nur zwei Prozent. Bei Pisa sieht es auf den ersten Blick ein bisschen besser aus: 14 Prozent der Schüler gehören in Mathematik zur Spitze (OECD: 13 Prozent), beim Lesen sind es sechs Prozent (OECD: acht Prozent) und in den Naturwissenschaften acht Prozent (OECD: acht). Aber da ist Österreich eben: durchschnittlich.


Begabungsförderung fehlt. Da gibt es viel Potenzial nach oben. Laut dem österreichischen Zentrum für Begabtenförderung (ÖZBF) haben eigentlich rund 20 Prozent eines Jahrgangs das Potenzial zu Spitzenleistungen. Nur, ganz von allein schöpfen die allerwenigsten Schüler dieses Potenzial aus. Bei der Förderung hakt es aber, wohl wegen der Mischung aus der besagten Leistungsskepsis und knappen Ressourcen. Werden die Schüler aber nicht gefördert, verkümmern die Begabungen. Die Motivation geht verloren. Und jene Schüler, die eigentlich spitze sein könnten, landen nicht einmal mehr im Durchschnitt – sondern womöglich bei den Fünferkandidaten.

Leistung

Nur zwei Prozent der heimischen Volksschüler bringen in Mathematik laut TIMSS Spitzenleistungen. Beim Lesen sind laut PIRLS fünf Prozent spitze.

Bei Pisa liegt Österreich mit sechs bis 14 Prozent bei den Spitzenleistungen etwa im Durchschnitt.

20 Prozent eines Jahrgangs hätten laut ÖZBF das Potenzial zu Spitzenleistungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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