„Noten durch Hintertür“: Ministerium rudert zurück

(c) Clemens Fabry
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Eigentlich sollte der Verzicht auf Ziffernnoten erleichtert werden. Eine geplante Verordnung würde das ad absurdum führen, kritisieren Direktoren.

„Du bist sehr interessiert und kannst dich schon gut konzentrieren. Du könntest nur manchmal etwas genauer sein.“ Sätze wie diese stehen gern in einer verbalen Beurteilung. Bisher wurde sie jüngeren Volksschülern häufig statt eines Zeugnisses übergeben. Bei anderen wurde der Lernfortschritt in einem Pensenbuch notiert oder eine Lernfortschrittsdokumentation geführt – es gibt viele Möglichkeiten.

Der Sinn all dieser alternativen Formen: Die Entwicklung und Leistung des Kindes sollen im Detail betrachtet werden. Wer alternativ beurteilt, lehnt das Ziffernschema von eins bis fünf als zu eng ab.

Die Bildungsreform sollte den Verzicht auf das klassische Notenzeugnis erleichtern. Mussten bisher die rund 2000 Volksschulen, die mit ihnen arbeiteten, für jede Klasse einen Schulversuch beantragen, liegen Pensenbuch und verbale Beurteilung nun in der Schulautonomie. Gegen eine geplante Verordnung, die die Reform genauer ausführt, formierte sich aber nun Widerstand. Demnach müssten zusätzlich zu den alternativen Beurteilungen standardisierte Formulierungen verwendet werden, die den Noten von eins bis fünf entsprechen.

Damit würden „die Ziffernnoten durch die Hintertür verpflichtend wieder eingeführt“, kritisiert der grüne Bildungssprecher Harald Walser im Gespräch mit der „Presse“ – ein halbes Jahr nachdem die Regierung das Aus für die Noten in den ersten drei Volksschulklassen verkündet hat. „Das ist ein pädagogischer Schildbürgerstreich.“

Zettel mit Beurteilungsstufen

Tatsächlich ließen einige Direktoren ihre Lehrer schon verkünden, dass man angesichts dieser seltsamen Verordnung von der alternativen Beurteilung weggehen und zur Ziffernnote zurückkehren müsse, wie „Die Presse“ erfuhr. Und wunderten sich über das Bildungsressort. Laut dem Entwurf der neuen Zeugnisformularverordnung sollte auch in Klassen, die alternativ beurteilt werden, eine zusätzliche schriftliche Information erfolgen.

Die Vorlage dafür ist ein Blatt, auf dem zwar keine Ziffernnoten eingetragen werden müssen. Aber – und das sei nicht besser – fünf Beurteilungsstufen: also die Definition der Noten. Dort sollte dann also zum Beispiel stehen: „Erfassen und Anwenden des Lehrstoffes und Durchführen von Aufgaben in den wesentlichen Bereichen überwiegend.“ Was die sperrige Umschreibung der Note vier ist.

Schulversuche werden „pervertiert“

„Die Grundidee der verbalen Beurteilung war immer, dass nicht sofort erkennbar ist, welche Note das wäre“, sagt Josef Reichmayr, Direktor der Lernwerkstatt Wien-Brigittenau, der einen offenen Brief gegen die Neuerung initiiert hat. Die Schulversuche zur alternativen Leistungsbeschreibung würden damit „pervertiert“.

Laut dem Entwurf gebe es nur noch die Wahl zwischen unkommentierten und kommentierten Ziffernoten, kritisieren die Unterzeichner des Appells. Das stehe „in krassem Gegensatz zur Schulautonomie und bedeutet de facto eine Abschaffung aller alternativen Beurteilungsformen“.

Dabei kamen die Reaktionen zuerst langsam: Wie andere Schulleiter stand Reichmayr vor einem Rätsel, als er die neue Verordnung las. „Es dauerte einige Zeit, bis mir klar wurde, dass etwas ganz Merkwürdiges im Busch ist“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“ Weil diese neue Regelung sinnwidrig sei, beschloss er nach Jahren der alternativen Beurteilung zum Zeugnis mit Ziffernnoten zurückzukehren. Wie auch andere Schulen.

„War als Hilfestellung gedacht“

Dazu wird es aber doch nicht kommen: Denn nach der Aufregung rudert das Bildungsressort zurück. „Die Beschreibung nach Schulnote war als Hilfestellung gedacht“, heißt es gegenüber der „Presse“. Und zwar für jene Lehrer, die bisher noch keine Erfahrung mit alternativer Leistungsbeurteilung gemacht haben. Dass das anders verstanden wurde, habe man mittlerweile gesehen.

Man werde die Verordnung deshalb ersatzlos streichen.
Die Lehrer können also in ihrer Information an die Eltern künftig ganz frei schreiben, was sie für sinnvoll halten. Dass die verbale Beurteilung im Jahr 2016 nicht nur ihr 50-Jahr-Jubiläum feiert, sondern auch für tot erklärt und kurz danach rehabilitiert wird, hätte wohl niemand kommen sehen.

Auf einen Blick

Notenverzicht. Im ersten Teil der Bildungsreform, der im Mai umgesetzt wurde, findet sich auch der leichtere Verzicht auf Ziffernnoten für die ersten drei Volksschulklassen. An rund 2000 Schulen wurde via Schulversuch schon bisher alternativ beurteilt. Statt Noten gab es etwa eine verbale Leistungsbeschreibung, ein Pensenbuch oder eine Lernfortschrittsdokumentation.

Verordnung. Zuletzt beschäftigte aber die geplante neue Zeugnisformularverordnung des Bildungsressorts die Schulen. Demnach sollte es eine zusätzliche schriftliche Leistungsinformation geben, deren Ausgestaltung für heftige Kritik sorgte. Zusätzlich zur alternativen Beurteilung sollten Beurteilungsstufen notiert werden. Diese entsprechen den Noten von eins bis fünf.

Änderung. Die Verordnung wird nun gestrichen. Sie hätte eine Hilfestellung für Lehrer sein sollen, die erst mit alternativer Beurteilung beginnen und sei falsch verstanden worden, heißt es aus dem Bildungsministerium.

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