"Die Schüler sind nicht dümmer als früher"

Schueler sind nicht duemmer
Schueler sind nicht duemmer(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Schüler lernen heute anders als früher, sagt der renommierte Experte Erich Ribolits im Interview mit DiePresse.com. Den Frust der Lehrer will er mit einer neuen Ausbildung bekämpfen.

DiePresse.com: Angesichts des drohenden Lehrermangels: Warum wollen so wenige junge Menschen Lehrer werden?

Erich Ribolits: "Studentenströme lassen sich nicht so einfach steuern. Vor wenigen Jahren hat Ministerin Elisabeth Gehrer noch an Maturanten appelliert, keine Lehrerausbildung zu beginnen. Außerdem wurde die vergangenen 15 Jahre daran gearbeitet, den Beruf des Lehreres zu desavouieren. Den Pädagogen wird nachgesagt, dass sie faul seien, dauernd Ferien hätten und ihnen wird die Schuld daran gegeben, dass die Jugend sich schlecht entwickelt. Manche trauen sich öffentlich nicht mehr zu sagen, dass sie Lehrer sind."

Die Schülerleistungen werden scharf kritisiert. Können die Schüler heute weniger als früher?

Erich Ribolits:
"Das sagt man seit tausenden Jahren über die nächste Generation. Die gesamte Gesellschaft strukturiert sich im Moment aufgrund der neuen Technologien um. Formales Wissen zu erwerben ist heute weniger wichtig, auf solche Wissensbestände kann man schnell zugreifen. Schnelles Reagieren, Überblick, Kreativität werden wichtiger. Dümmer oder schlechter als früher sind die Schüler heute sicher nicht."

Zur Person

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Univ.-Prof. Dr. Erich Ribolits war Techniker, später Berufsschullehrer und arbeitete anschließend lange Jahre in der Lehrerausbildung. Von der Pädagogischen Akademie wechselte er schließlich auf die Universität, nun ist er formell in Pension, lehrt aber noch an der Uni Wien.

Was macht eine gute Schule aus? Die Lehrer oder das Schulsystem?


Erich Ribolits:  "Beides. Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, innerhalb dieser müssen die Lehrer agieren. Sehr viel hängt an der Lehrerausbildung, die ist momentan nicht ideal. Derzeit gehen viele mit großem Engagement in den Beruf hinein, aber nach einigen Jahren sind sie frustriert und zynisch."

Kann man die Frustration denn in der Ausbildung verhindern?

Erich Ribolits: "Ja, indem man den Lehrerberuf realistisch darstellt. Die Schule ist kein Sonderraum, sondern ein kommunizierendes Gefäß mit der Gesellschaft. Derzeit gibt es die Illusion, man könnte in der Schule Wunder wirken. Und die Lehrer wollen das auch und stellen dann fest, dass das nicht geht. Der Bruch zwischen Ausbildung und Realität ist groß."

Muss man die Lehrer auch besser begleiten?

Erich Ribolits:  "Ja, denn die Probleme haben sich etwa im Vergleich zu meiner Unterrichtszeit potenziert."

Werden die Schüler schwieriger?

Erich Ribolits: "Nein, das klingt so, als ob sie böser würden. Sie durchschauen, dass eine schwierige Zukunft auf sie zukommt, viele keinen Job finden werden, viele auf der Strecke bleiben. Sie sind teils wütend, frustriert, hoffnungslos. Diese Wut richtet sich oft auch gegen die Lehrer."

Pädagogik ist in Österreich weiblich. Ist das gut so?

Erich Ribolits: "Ich halte es für gut, dass es viele Frauen im Bildungsbereich gibt. Aber für sie hat das viele Nachteile. Wenn in einem Arbeitsbereich der Anteil der Frauen zunimmt, geht das oft damit einher, dass es dort schlechtere Bezahlung und weniger Aufstiegschancen gibt."

Soll es eine Aufnahmeprüfung für alle Lehrer geben?

Erich Ribolits: "Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Gesellschaft ist bzw. dass es seriös möglich ist, schon vorher festzustellen, ob sich jemand für eine Ausbildung eignet und ihn in eine bestimmte Richtung zu drängen. Junge Menschen sollten etwas ausprobieren können, Studienwechsel müssen in einem reichen Land wie Österreich möglich sein."

Ist der tertiäre Sektor zuständig für die hehre Theorie oder für die Praxis?

Erich Ribolits: "Diese Aufspaltung in Theorie und Praxis passt so nicht. Es soll eine Besonderheit des tertiären Sektors bleiben, dass die Praxis als Anlass des kritischen Denkens genommen wird. Das muss ein Ziel bleiben."

Ist der Praxisbezug der Fachhochschulen vorbildlich?

Erich Ribolits: "Die Fachhochschulen haben meistens einen engeren Kontakt mir Firmen. Es wird gefördert, dass sie in direktem Kontakt zur Praxis stehen. Aber die Gefahr dahinter ist, dass sie dazu neigen, sich nur noch in der Funktion zu sehen, junge Menschen darauf vorzubereiten, in dieser Praxis zu funktionieren. Ausbildung für das Funktionieren unter den Bedingungen des Status quo ist Teil jeder Bildungsanstrengung. Aber zumindest die Hochschulen dürfen sich darauf nicht beschränken. Aber auch in der Schule sollte man das kritische Denken, also das Denken über den Status quo hinaus, fördern."

Wünschen Sie sich, dass jeder Lehrer an der Uni ausgebildet wird?

Erich Ribolits: "Ich glaube, dass das besser wäre, weil ich der Meinung bin, dass die Uni diese Tradition des kritischen Denkens noch stärker verkörpert. Grundsätzlich wäre das auch an einer Pädagogischen Hochschule (PH) möglich. Die PH hatte schon einmal einen schlechten Start, weil einfach nur die Schilder von Pädagogische Akademie auf Pädagogische Hochschule umgeschrieben wurden."

Gibt zu wenig kritisches Denken an den Pädagogischen Hochschulen?

Erich Ribolits: "Die Pädagogischen Hochschulen kranken daran, dass die Lehrenden dort keinen Forschungsauftrag haben. Die Einrichtung hat einen, aber die Lehrenden nicht. Bei der Lehrverpflichtung, die die Lehrenden dort haben, kann also nicht viel passieren. Die kritische Auseinandersetzung an den pädagogischen Hochschulen ist zu schwach."

Die Studenten geben der PH aber bessere Noten als der Uni. Zumindest, was die Lehre betrifft. Erfüllen die Unis ihren Auftrag?

Erich Ribolits: "Die Studenten wünschen sich das, was sie gewöhnt sind, nämlich die schulische Strukturen, zurück. Das heißt aber nicht, dass diese Strukturen gut sind."

Sie wünschen sich aber doch eine Vorbereitung auf den Beruf.

Erich Ribolits:
"Das ist auch legitim. Aber die Uni darf trotzdem nicht davon abgehen, dieses kritische Denken zu fördern. Das heißt auch: weniger verschulte Strukturen. Mehr Zwang, sich etwas aussuchen zu müssen, also Zwang zur Freiheit. Studierende nur danach zu fragen, wie zufrieden sie mit dem Studium sind, reicht nicht."

Erich Ribolits: Bildung ohne Wert. Wider die Humankapitalisierung des Menschen. Löcker-Verlag, Wien.

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