Migration und Schule: „Dogma 'Deutsch only' kann nicht stimmen“

Migration Schule Dogma Deutsch
Migration Schule Dogma Deutsch(c) Clemens Fabry
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Deutsch wird für Migrantenkinder immer mehr zur Alltagssprache. Doch eine Garantie für Bildungserfolge ist das nicht. Linguistin Katharina Brizic hat die Sprachen von 20.000 Schülern untersucht.

Deutsch wird immer mehr zur Alltagssprache für Kinder aus Zuwandererfamilien. Doch ein Garant für Bildungserfolge ist das nicht, sagt Linguistin Katharina Brizic. Sie hat 20.000 Wiener Volksschüler der dritten und vierten Klassen dazu befragt, welche Sprachen sie in der Familie sprechen. Überraschendes Ergebnis: Nur jeder Zehnte spricht zu Hause nicht Deutsch. Auch in türkischen Familien, die oft als besonders deutsch-resistent kritisiert werden, zeigt sich ein ähnliches Bild: 87 Prozent der türkischen Kinder sprechen zu Hause auch Deutsch. Für 80 Prozent aller befragten Kinder ist Deutsch die Sprache, die sie am besten beherrschen. Weitere sechs Prozent sprechen Deutsch am liebsten.

Die Forderung, dass Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause Deutsch sprechen, scheint längst Realität zu sein. Trotzdem halten sich schlechte Bildungserfolge bei Kindern mit Wurzeln im Ausland hartnäckig. „Dass die Deutschkompetenz für schulische Erfolge wichtig ist, ist klar“, sagt Brizic. „Das Dogma 'Deutsch only' kann aber jedenfalls nicht stimmen.“ Denn dann müssten all diese Kinder besonders bildungserfolgreich sein. Dem ist nicht so: In Roma-Familien etwa wird am häufigsten Deutsch gesprochen – deren Kinder schneiden in der Schule aber am schlechtesten ab.

Sprachwechsel unter Druck

Die zunehmende Verdrängung der Muttersprachen durch das Deutsche könnte ein Grund dafür sein, warum Kinder mit Migrationshintergrund bei Tests wie PISA so schlechte Ergebnisse erzielen, sagt Brizic. Sozial stigmatisierte Gruppen stehen unter einem großen Druck: „Sie glauben, ihre alte Sprache zurücklassen zu müssen“, so Brizic. „Aber dass der Deutscherwerb auf Kosten einer anderen Sprache gehen muss, dafür gibt es keinerlei Belege.“ Ein kompletter Sprachwechsel sei für Bildungserfolge nicht unbedingt dienlich.

Besonders Kinder aus sozial schwachen oder stigmatisierten Gruppen – Roma, Kurden, andere Minderheiten – hätten oft bereits im Heimatland einmal unter Druck die Sprache gewechselt: „Man muss sich vorstellen, was diese Kinder leisten, die zwei Mal die Stufe zu einer neuen Sprache nehmen“, sagt Brizic. Das kann wiederum ein Grund dafür sein, warum diese in der Schule Schwierigkeiten haben – und könnte besonders das schlechte Abschneiden vieler türkischer Schüler erklären: Laut Brizic' Erhebung sprechen mehr als zehn Prozent von ihnen eigentlich Kurdisch.

Andere und mehr Sprachen

Die Schüler scheinen nicht nur andere, sondern teilweise auch viel mehr Sprachen zu beherrschen, als ihre Lehrer annehmen: So seien Minderheitenkinder oft in der Lage, neben Deutsch drei oder vier weitere Sprachen zu verstehen: Im Fall von Romakindern etwa Romanes, Serbisch, Albanisch und Türkisch. Das müsste im Muttersprachenunterricht stärker berücksichtigt werden: „Da sollte viel stärker differenziert werden.“ Die Sprachen sollten gefördert werden, die bei den Kindern am stärksten sind – oft sind das nicht die, die der Pass oder oberflächliche Fragen nahe legen.

Zur Studie

Die Studie ist Teil des internationalen Projekts „Multilingual Cities“. Sprachwissenschaftlerin Katharina Brizic und ihr Team waren dafür in 234 Wiener Volksschulen (85 Prozent) und befragten fast 20.000 Kinder der dritten und vierten Klassen. Bei knapp 60 Prozent der Kinder sind entweder Mutter, Vater oder das Kind selbst im Ausland geboren. Die Familien haben Wurzeln in 145 Ländern, die Forscher haben fast 150 verschiedene Sprachen erfasst.

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