Türkei: Streit um Kurdisch im Klassenzimmer

(c) EPA (JORGE ZAPATA)
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Ein Sprachenstreit erschüttert das Land, die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) will Kurdisch als Unterrichtssprache einführen. Der zuständige Oberstaatsanwalt prüft ein Verbot der BDP.

Istanbul. Zum Jahresende ist die politische Szene in der Türkei in Aufruhr geraten: Die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) hat sich erlaubt, die Sprachenfrage der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen.

Sie will in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei Kurdisch als Unterrichtssprache von der Grundschule bis zur Universität einführen. Auf einem Kongress in Diyarbakir forderte man darüber hinaus „demokratische Autonomie“ für 25 Regionen des Landes.

Die Sprachenfrage hat zu einer seltenen Allianz zwischen der gemäßigt islamischen Regierung Erdoğan und dem kemalistischen Generalstab geführt. Erdoğan wirft der BDP „Rassismus“ vor. Die gemeinsame Sprache der Türkei sei nun mal Türkisch. Die BDP würde mit ihrem Vorschlag der „Brüderlichkeit“ schaden und Benzin ins Feuer gießen. Eine scharfe Verurteilung der kurdischen Forderungen durch den Nationalen Sicherheitsrat ist zu erwarten. Der zuständige Oberstaatsanwalt prüft bereits ein Verbot der BDP. Im Kreisverband der BDP in Istanbul, in einem kleinen Gebäude in einem vom Abbruch bedrohten Viertel, sieht man sich gerade im Fernsehen an, was der Vorsitzende der rechtslastigen MHP zum Vorstoß der BDP zu sagen hat: „Unser Brot ist türkisch, unser Wasser ist türkisch“, hebt Devlet Bahçeli an. Erdoğan wolle als „Subunternehmer“ der USA das Land teilen, indem er Zugeständnisse an „Terroristen“ mache. „Aber sie werden die stählerne türkische Faust spüren.“

Kurdische Kinder benachteiligt

Im kleinen Raum kommt Heiterkeit auf. Bahçeli sagt, was er immer sagt. Und er setzt Erdoğan unter Druck, sich keine Nachgiebigkeit mehr gegenüber den Kurden zu erlauben. Bei der Parlamentswahl im kommenden Juni wird man sehen, wie weit er diesmal kommt.

Für den stellvertretenden Kreisvorsitzenden der BDP, Cahit Özmaya, ist es hingegen die natürlichste Sache der Welt, dass die Kurden ihre Sprache sprechen wollen: „Wir leben hier in Istanbul. Wir wollen das Land nicht teilen“, entgegnet Özmaya. „Unsere Kinder sind im Nachteil, weil sie auf der Schule zunächst eine fremde Sprache lernen müssen.“ Der Premier wolle doch auch in Deutschland, England und anderswo türkische Schulen eröffnen; die Forderung nach kurdischen Schulen könne er aber nicht ertragen.

„Ein Jahrhundert lang hat man geleugnet, dass es eine kurdische Sprache überhaupt gibt“, sagt Özmaya. „Stellen Sie sich vor, was das für ein psychologischer Druck war.“ Noch immer scheue sich Erdoğan, das Wort „Kurdisch“ in den Mund zu nehmen: „So können Sie die kurdische Frage nicht lösen.“

Es ist ein nasskalter Tag. Wieder auf der Straße, dringt der Geruch von Kohleöfen in die Nase. Die Häuser sind eng und in schlechtem Zustand, die Fassaden so bleigrau wie der Himmel, aus dem ein leichter Nieselregen fällt.

In dem Viertel haben sich viele Kurden niedergelassen. Ein Mann geht von Teehaus zu Teehaus, von Laden zu Laden, um eine einzelne Jacke zu verkaufen. Ein Blick auf dieses Viertel reicht, um zu verstehen, dass die kurdische Frage auch eine soziale Frage ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2010)

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