Aus für „Winkerlstehen“: Neue Regeln für Schulalltag

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Immer mehr Lehrer müssen zur „Selbsthilfe“ greifen, um in ihren Klassen für Ordnung zu sorgen, kritisieren die Schulpartner. Ein Katalog an „Verhaltensvereinbarungen“ soll mehr Fairness bringen.

Wien/Red. Winkerlstehen, Nachsitzen, Kollektivstrafen für die gesamte Klasse: So manche dieser Strafen wirkt wie aus längst vergangenen Tagen. Und dennoch sind sie Teil des Schulalltags. Immer mehr Lehrer fühlen sich laut Gewerkschaft mit den Erziehungsaufgaben, die sie von den Eltern übernehmen müssen, überfordert. Und greifen daher zur – umstrittenen – Selbsthilfe.

Die Beispiele aus dem Schulalltag, die Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter skizzieren, klingen teils kurios: Da wird ein Schüler zur Strafe vor die Türe geschickt – und muss dort die Schnalle halten, als Beweis, dass er nicht davonläuft. An einer anderen Schule werden „schlimmen“ Klassen die Turnstunden gestrichen.

Die Schulpartner wollen nun gegensteuern. Noch im März sollen Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam einen Katalog an Verhaltensvereinbarungen erarbeiten, die „Fairness gegenüber den Schülern und Rechtssicherheit“ für die Lehrer“ bringen sollen. Derzeit agieren Lehrer oft im rechtsfreien Raum.

Immer mehr Verhaltensauffällige

Dass viele Lehrer derzeit auf eigene Faust für Ordnung sorgen müssen, liege am gesellschaftlichen Wandel: Sich verändernde Familienstrukturen, eine schwierigere Situation am Arbeitsmarkt und hohe Erwartungshaltungen an die Leistung der Kinder würden zu Druck in den Familien führen, sagt etwa die Wiener Schulpsychologin Mathilde Zeman im ORF-Radio.

Diese Belastungen wirken sich auch auf den Unterricht aus. „Wir stellen fest, dass es in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg an Verhaltensauffälligkeiten gibt“, sagt Paul Kimberger, Chef der Pflichtschullehrergewerkschaft. Viele hätten Erziehungsdefizite: „Die Kinder brauchen von der Schule mehr. Ich denke, dass wir mit Werkzeugen, die wir zur Verfügung haben, nicht mehr das Auslangen finden.“ Nun brauche es „neue Regeln des Zusammenlebens“, sagt Zeman. „In der konkreten Situation darf der Lehrer nichts tun, was Würde und Sicherheit des Kindes gefährdet.“

Übrigens: Im Unterrichtsministerium will man nicht bestätigen, dass die Zahl der Fälle steige, in denen umstrittene Disziplinierungsmaßnahmen zum Einsatz kommen. Die Situation habe sich sogar eher verbessert, so die Wahrnehmung im Ministerium. Die Pläne der Schulpartner begrüße man dennoch – unter der Voraussetzung, dass die Vorschläge „praktikabel“ seien und „nicht die Menschenwürde verletzten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schulstrafen Massnahmen letztem Jahrtausend
Schule

Schulstrafen: "Maßnahmen aus letztem Jahrtausend"

Schulpartner berichten über Zunahme bei umstrittenen Strafen an Schulen. Nun soll ein neuer Maßnahmenkatalog erarbeitet werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.