Wer mit PISA Politik macht

PISA Politik macht
PISA Politik macht(c) AP (BERND KAMMERER)
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Schlechte PISA-Leistungen werden in Österreich weniger für Schulreformen, denn für politische Machtspiele genutzt. Das Meiste von dem, worüber diskutiert wird, misst PISA jedoch gar nicht.

Hat sie interveniert – oder hat sie nicht? Der Vorwurf, den Kritiker der Unterrichtsministerin kurz vor der Veröffentlichung der neuen PISA-Studie am Dienstag erheben, ist kein geringer. Claudia Schmied selbst habe sich bei einem Treffen mit dem bei der OECD für den PISA-Test verantwortlichen Andreas Schleicher dafür stark gemacht, dass die österreichischen PISA-Daten nur „unter Vorbehalt“ präsentiert und von der OECD als aussageschwach deklariert werden, so das Gerücht.

Der kolportierte Grund: Die Österreich-Ergebnisse, die am Dienstag offiziell werden, seien deutlich schlechter als in den vorangegangen Jahren. Der Schülerboykott des Tests im April 2009 und die allgemein „negative Stimmung“ – angeheizt durch die Debatte um zwei Stunden Mehrarbeit für Lehrer – kämen da, so heißt es, als Ausrede gerade recht.

Allein, dass es derartige Vorwürfe gibt, legt offen, welche Relevanz PISA für die österreichische Bildungslandschaft hat. Die Kontrahenten im laufenden Schulstreit haben erkannt: Mit PISA lässt sich vor allem gut Politik machen – mit schlechten Ergebnissen sogar noch besser. Nicht wenigen kommt das (vermutete) PISA-Debakel ganz recht. Als erste Stimmen von einem Absturz Österreichs sprachen, nützte die ÖVP das für eine Attacke auf Claudia Schmied. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) stellte relativ rasch klar, dass die Ressortchefin das Ergebnis quasi allein zu verantworten habe. (Um PISA ging es dabei nicht wirklich, sondern darum, darauf hinzuweisen, dass die Schulkompetenzen besser bei den Ländern als beim Bund aufgehoben wären.) Auch Vizekanzler Josef Pröll verwies auf die Verantwortung der Regierungsmitglieder für ihre Ressorts.

Schmieds Konter gelang: Sie schob die Schuld auf ihre Vorgängerin (und ÖVP-Ministerin) Elisabeth Gehrer. Die getesteten Kinder seien Jahrgang 1993 und hätten damit nicht von Schmieds Reformen seit 2007 profitieren können, sondern vielmehr unter der von Gehrer erlassenen Kürzung der Unterrichtsstunden gelitten.

Reformen wirken langsam.
Ganz unrecht hat sie nicht, das beweist ein Papier des Beratungsinstituts Sora. Der „Zusammenhang zwischen politischen Maßnahmen und wissenschaftlicher Evidenz ist nicht immer trivial“, steht dort zu lesen. So werde etwa der Effekt der niedrigen Klassenschülerhöchstzahlen (eingeführt 2007) erst bei der PISA-Erhebung 2012 wirksam. Dann nämlich sind jene, die die Reform betrifft, 15 oder 16Jahre alt – und fallen in die PISA-Kohorte. Gleiches gilt für die Neue Mittelschule, deren Auswirkungen ohnehin gering ausfallen dürften, wie Sora-Chef Günther Ogris anmerkt: Immerhin sind bisher nur zehn Prozent der Schulen umgestellt. Die Bildungsstandards für die achte Schulstufe werden laut Sora 2015 wirksam; das verpflichtende Kindergartenjahr überhaupt erst im Jahr 2021.

Was misst PISA? Folgt man dieser Argumentation, scheint eine Intervention der Ministerin bei der OECD unlogisch. Dass Schmied damit nur der (im Ministerium nicht eben sonderlich beliebten) Lehrergewerkschaft schaden wollte, die für die „negative Stimmung“ verantwortlich war, halten nicht einmal Schmied-Kritiker für plausibel. Umso mehr, da sich Schmied derzeit bemüht, die PISA-Ergebnisse als besonders relevant darzustellen. Sie wisse, dass das heimische Schulsystem „Qualitätsprobleme“ habe, so Schmied am Freitag bei einer Pressekonferenz in Richtung ÖVP, der in der Schuldebatte ohnehin das Blockierer-Image anhaftet.

Das Meiste von dem, worüber politisch diskutiert wird, misst PISA jedoch gar nicht: So lässt der Test gerade in Österreich kaum Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit einzelner Schultypen zu. PISA findet an der Nahtstelle zwischen der Unter- und der Oberstufe statt. Ein Gutteil der Kohorte wechselt also ausgerechnet im Jahr vor diesem Test die Schule. Ob Landes- oder Bundeslehrer besser unterrichten, lässt sich schon gar nicht herauslesen.

Die Politik freilich wird das am 7.Dezember – wenn die Suche nach den Schuldigen weitergeht – wenig beeindrucken.

PISA-Test

Die OECD führt den internationalen Test seit dem Jahr 2000 durch. Testbereiche sind Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Das Lesen war Schwerpunkt des Tests 2009. Während Österreich 2006 in Mathematik und Naturwissenschaften erstmalig über dem OECD-Durchschnitt lag, gelang das beim Lesen noch nie. Traditionell gut schneiden Länder wie Finnland, Südkorea und Japan ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2010)

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