"Das Zauberwort ist nicht Integration, sondern Anpassung"

Zauberwort nicht Integration sondern
Zauberwort nicht Integration sondern(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Interview. „Sitten des Landes“ müssen eingehalten werden, sagt die griechische Bildungspsychologin Motti-Stefanidi.

Die Presse: Was kann der Lehrer tun, um Migranten besser in die Klassengemeinschaft zu integrieren?

Frosso Motti-Stefanidi: Das Zauberwort ist nicht Integration, sondern Anpassung. Einerseits muss eine akademische Anpassung erfolgen: Auch Schüler mit Migrationshintergund müssen den Lehrinhalten folgen können. Zum zweiten geht es um soziale Anpassung. Die Kinder sollten in die Klassengemeinschaft integriert sein und freundschaftliche Beziehungen zu Nicht-Migranten haben. Ob das gelingt, hängt aber von den Verhaltensweisen beider Gruppen ab. Aggressive, verhaltensauffällige Kinder, die noch dazu die Sprache nicht oder nur sehr schlecht sprechen, haben es natürlich schwerer.

Welche Rolle spielt die Politik?

Es gibt natürlich ein Wechselspiel zwischen der Politik und dem Mikrokosmos einer Klassengemeinschaft. Die Frage ist: Legt der Bildungsminister eines Landes für Migrantenkinder dieselben Lernziele fest wie für Nicht-Migranten? Sollte das der Fall sein, dann müssen Sprachkurse angeboten werden. Voraussetzung für gelungene Anpassung ist die Grundkenntnis der Sprache des Gastlandes.

Woran kann die „Anpassung“ noch scheitern?

Häufig schotten sich Migrantenkinder ab. Es ist wichtig, Freunde zu mit einer positiven Vorbildfunktion zu haben. In Klassen, wo es nur wenige Migranten gibt, sind diese leider häufig Außenseiter. Wir müssen akzeptieren, dass die homogene Gesellschaft der Vergangenheit angehört. In Griechenland ist das ein Prozess, der leider noch in den Kinderschuhen steckt. Andere Länder haben längere Erfahrungen mit Migration, etwa Kanada, die USA oder Australien.


In Deutschland gab es vermehrt Meldungen, dass sich Schüler einer „Deutschenfeindlichkeit“ vonseiten ihrer migrantischen Mitschüler ausgesetzt sahen. Wie kommt es dazu?

Aggressivität ist sicher häufig eine direkte Folge von Diskriminierung. Doch es braucht mehr als das. Es gibt andere Faktoren, etwa die familiäre Situation oder den Charakter des Kindes selbst. Oft ist auch entscheidend, wie die Schulleitung auf Aggressivität reagiert. Dabei sollten wir uns eine Tatsache klar vor Augen halten: Alle Schüler, egal welcher Herkunft, haben ähnliche Bedürfnisse. Zuallererst wollen sie akzeptiert werden.


In Österreich wurde eine Lehrerin von einem serbischen Vater tätlich angegriffen, weil sie seine Tochter zurechtgewiesen hatte. Wie sollen weibliche Lehrer damit umgehen, dass Väter mit Migrationshintergrund Ihnen oft kaum Respekt entgegenbringen?

Jeder muss die Sitten des Landes, in dem er sich aufhält, akzeptieren. In unserem Kulturkreis gibt es weibliche Lehrer, und diese sind mit Respekt zu behandeln. Abweichendes Verhalten muss mit Konsequenzen sanktioniert werden. Ich hoffe, dass in Familien, in denen die Anpassung an unsere westliche Kultur noch nicht erfolgt ist, dies in der zweiten und dritten Generation passiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.