Schulforschungsprojekt: Das Leben in den Lüften

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Schüler und Forscher erkunden die Atmosphäre als Lebensraum. Bakterien und Algen sind per Anhalter unterwegs: Sie leben auf Wolkentröpfchen oder Aerosolen.

Die Welt ist ein großer Organismus, dessen Hauptbewohner Mikroorganismen sind. Pro Milliliter Wasser tummeln sich eine Million Bakterien und zehn Millionen Viren (99,9 Prozent davon sind für Menschen ungefährlich). Und pro Gramm Erde findet man mindestens 100 Millionen Bakterien. Dass auch die Luft ein Lebensraum für Mikroben ist, wissen Forscher noch nicht lange. „Die Atmosphäre als extremer Lebensraum ist ein sehr junges Forschungsgebiet. Wir finden im Schnitt 1500 Bakterien pro Milliliter Luft“, erklärt Birgit Sattler vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck. Früher dachte man, dass nur inaktive Sporen in die Luft vertragen werden, aber nicht Mikroorganismen mit aktivem Stoffwechsel. Das stimmt aber nicht. „Bakterien, Viren, Pilze und Algen kommen hauptsächlich dort vor, wo es Feuchtigkeit gibt. Also in Wolkentröpfchen oder auf Aerosolen, auch in bodennaher Luft.“ Aerosole sind Schwebeteilchen, bei denen ein fester oder flüssiger Stoff mit Gas vermischt ist – dort finden Mikroben Nahrung.

„Extrem ist der Lebensraum Atmosphäre deshalb, weil die Mikroorganismen mit extrem niedrigem Druck zurechtkommen müssen, es herrschen sehr niedrige Temperaturen, aber hohe Strahlungswerte und eine geringe Nährstoffkonzentration“, so Sattler. Sie leitet das Sparkling-Science-Projekt TriPolar (gefördert vom Wissenschaftsministerium), bei dem nun besonders junge Forscher in das neue Forschungsgebiet eingebunden werden: Schüler aus ganz Österreich beteiligen sich am Probensammeln, Bakterienidentifizieren und auswerten. „Die Aufgaben sind je nach Altersklasse und Schultyp verteilt: Die HTL Eisenstadt entwickelt gemeinsam mit Kollegen aus den USA und dem Österreichischen Weltraum Forum einen Ballon, der über 30 Kilometer bis in die Stratosphäre aufsteigen soll, die Hauptschule Zirl in Tirol hat z.B. einen Ökologie-Schwerpunkt und erforscht ökologische Hintergründe.“

Wie kommen die Mikroorganismen überhaupt in die Stratosphäre, sie haben ja keinen Ballon... Der Ursprung aller Bakterien, Viren, Pilze und Algen, die in der Atmosphäre leben, ist meist der Boden oder die Wasseroberfläche. „Die Mikroorganismen werden aufgewirbelt und gelangen mit den Feuchtepartikeln und Aerosolen in verschiedene Höhen durch die Luftströmungen und je nach Wolkenart.“ Also sind die Mikroben per Anhalter in der Atmosphäre unterwegs. „Irgendwann werden sie wieder auf der Erdoberfläche deponiert. Das passiert rein zufällig und ist für die Besiedlung extremer Lebensräume sicher wichtig. Denn diese Mikroben haben eine hohe Anpassungsfähigkeit.“

Eisflächen sind z.B. Lebensräume mit extremen Bedingungen: Die Schüler und Forscher untersuchen nun die Luft über Tiroler Gletschern (Ötztal, bei Obergurgl) – auch zum Sonnblick soll es heuer gehen. „Die Frage ist, wie hoch der biologische Eintrag von der Atmosphäre auf die Eisflächen ist.“ Außerdem wird gemessen, wie viele Mikroben überhaupt im Gletscher leben: Diese Messungen werden den Jugendlichen besonders Spaß machen, denn dazu soll ein ferngesteuerter Hubschrauber eingesetzt werden, der gemeinsam mit der Innsbrucker Experimentalphysik entwickelt wird, auf den ein Laser montiert ist. „Das Licht des Lasers wird in das Eis hineingestrahlt und die fotosynthetisch aktiven Pigmente der Mikroorganismen fluoreszieren daraufhin“, so Sattler. Damit kommt man ohne Probennahme aus: „Beim Schmelzen und Manipulieren der Probe kann zu viel Kontamination durch fremde Mikroben passieren. Nichtinvasive Messungen sind genauer.“ Die Verunreinigung der Proben durch Bakterien auf Geräten oder Forschern ist auch bei den Luftproben eine Gefahr: Ein Forschungsschwerpunkt liegt daher auf der Reinhaltung der atmosphärischen Proben und der Untersuchung der möglichen Verunreinigungsquellen.

Nicht nur heimische Eisflächen werden mit den Luftproben verglichen – auch in der Arktis, bei Spitzbergen, werden die Gletscher erkundet (dort können die Schüler aber nicht mitkommen). So kann man abschätzen, wie sich die mikrobiellen Ökosysteme im Gletschervorfeld oder tiefer gelegenen Regionen verändern werden, wenn der Schwund der Gletscher so weiter geht wie zuletzt.

LEXIKON

1500 Bakterien findet man pro Milliliter Luft.

Die Atmosphäre ist ein extremer Lebensraum: niedriger Druck, tiefe Temperaturen, hohe Strahlung und wenig Nährstoffe.

Mobile Luftsammlersaugen definierte Luftmengen an, deren mikrobieller Inhalt analysiert wird.

In Zusammenarbeitmit einer Schule in Chicago und der Nasa erstellen die Schüler auch Lernbehelfe für Schulen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2011)

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