Wifi-Chef: "ÖVP blockiert Chancengleichheit"

Bildung oeVP blockiert Chancengleichheit
Bildung oeVP blockiert Chancengleichheit(c) Clemens Fabry
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Michael Landertshammer, Bildungsexperte der Wirtschaftskammer, spricht im Interview über die "Einmauerung" der Koalition im Schulsystem und den "Trugschluss" der ÖVP in der Gesamtschulfrage.

Die Presse: Unterrichtsministerin Claudia Schmied freut sich angesichts des OECD-Berichts „Bildung auf einen Blick“ über die gute schulische Berufsbildung in Österreich – die Wirtschaft hingegen klagt, vielen Absolventen würden einfachste Grundkompetenzen fehlen. Eine der beiden Aussagen
muss falsch sein. Welche?

Michael Landertshammer: Es ist keine der beiden falsch. Wo wir wirklich gut sind, ist im dualen System (die parallele Ausbildung in Betrieb und Berufsschule, Anm.). Die Jugendlichen erleben den Eintritt ins Berufsleben dort von Anfang an, das ist auch Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land. Auch das System der berufsbildenden höheren Schulen ist gut.

Wo liegt dann das Problem?

Das große Problem ist, dass die Jugendlichen nach ihrem Pflichtschulabschluss zunehmend Mängel aufweisen. Faktum ist, dass ein Drittel nicht einmal sinnerfassend lesen kann, bei den Kulturtechniken Schreiben und Rechnen verhält es sich ganz ähnlich. Wir haben also rund 10.000Jugendliche, die auch im dualen System keinen Platz finden. Eine Katastrophe.

Wer trägt die Schuld? Die Lehrer, die Lehrpläne, das Ministerium?

Das Problem ist, dass im Mittelpunkt der Schule nicht der Schüler steht, sondern die Struktur. Wir erzeugen Normschüler – und kümmern uns zu wenig um den Einzelnen. Eigentlich müsste der Einzelne im Zentrum stehen – den wir nach seinen Neigungen, Fähigkeiten und auch Schwächen individuell betreuen.

Kaum ein Land investiert – umgerechnet auf die Schülerzahl – so viel Geld in den Einzelnen wie Österreich. Warum stimmt der Output nicht?

Wir haben ein sehr starres Schulsystem, bei dem unfassbar viel Geld in die Verwaltung fließt. Jährlich versickern mindestens 600Millionen Euro in dieser hochgezüchteten, mehrgleisigen Administration.

Wo würden Sie konkret einsparen? Bei den Landesschulräten?

Man muss sich das ganze System anschauen. ÖVP und SPÖ haben in den 60er-Jahren ein Geflecht geschaffen, dessen Ziel es war, dass nie wieder in aller Zeit eine der beiden Parteien die Schulverwaltung dominieren kann. Diese Einmauerung gehört gesprengt. Etwa durch einen Abtausch: Die SPÖ blockiert Studienbeiträge, die ÖVP blockiert die gemeinsame Schule. Anders gesagt: Die ÖVP blockiert Chancengleichheit für alle Kinder, nach Ende der Schulpflicht zumindest die Mindeststandards zu erreichen.

Da höre ich jetzt ein Plädoyer für die Gesamtschule heraus. Ist das richtig?

Grundsätzlich ja. Wir denken, dass das die beste Lösung ist. Wiewohl ich mittlerweile der Meinung bin, dass die AHS auch bestehen bleiben könnte, wenn die Neue Mittelschule nur klar positioniert ist. Ich will nämlich gar nicht am Begriff der Gesamtschule kleben oder gar ein ausländisches Modell übernehmen. Wir brauchen ein perfektes österreichisches System. Und nicht eines, das aus der Zeit Maria Theresias stammt. Die ist nämlich schon lange tot. Entscheidend ist, dass jedes Kind am Ende der Pflichtschule eine Potenzialanalyse und eine Berufsorientierung erhalten hat – und sich bewusst entscheidet, welchen Weg es einschlagen will. So können wir die Drop-out-Raten senken.

Warum tut sich die ÖVP so schwer mit dem Thema?

Weil die ÖVP bündisch strukturiert ist und der ÖAAB und dort die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst sehr stark sind. Zweitens unterliegt die die ÖVP dem Trugschluss, dass sie, wenn sie bei Lehrern satte Mehrheiten hat, sie generell bei Wahlen zu Mehrheiten kommt. Das ist aber falsch. Und drittens hat die ÖVP die Angst, die gemeinsame Schule führe zu einer Nivellierung nach unten. Die Angst ist nicht unbegründet – weil es der roten Ideologie entspräche, sich an den Schwächsten zu orientieren. So darf die gemeinsame Schule nicht verstanden werden, im Gegenteil. Es geht darum, dass jeder unabhängig von sozialem, ethischem und finanziellem Hintergrund gleiche Chancen hat. Jene, die nicht in eine AHS oder tolle Hauptschule kommen, werden derzeit abgestempelt und im Zuge ihrer Schullaufbahn niedergemacht – statt gefördert.

Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund tun sich schwer im Schulsystem. Setzt sich das im Beruf fort?

Unsere Betriebe sagen uns nicht, dass Migranten schlechter wären. Das Problem ist, dass viele Migranten aus dem System ausscheiden, bevor sie ins Erwerbsleben eintreten. Und das können wir uns nicht leisten – etwa mit Blick auf den stetig steigenden Facharbeitermangel. Die Politik schaut zu, wie alles schlechter wird, ohne zu handeln.

Was muss man also tun, um die Situation langfristig zu entschärfen?

Wir müssen die starre Struktur aufbrechen, in der der Kindergarten nicht mit der Volksschule kommuniziert – und diese nicht mit der Sekundarstufe. Es dürfen nur Kinder aus dem Kindergarten kommen, die dem Unterricht folgen können. Dabei ist es nicht klug, zu sagen, Kinder mit Migrationshintergrund sollten ihre Muttersprache vergessen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder zuerst ihre Muttersprache gut lernen – und dann Deutsch. Spätestens im Berufsleben ist es ein großer Vorteil, zwei Sprachen zu beherrschen.


Was fordern Sie von der Regierung?

Beide Parteien sollen ein kleines Team zusammenstellen, das hinter verschlossenen Türen ein Jahr lang arbeitet. Und dann ein Konzept vorstellt, das uns zeigt, was wir vom Kindergarten bis zur postgradualen Bildung machen müssen, damit Österreich wieder ganz oben ist. Das ist unser Problem: Es geht uns derzeit nicht mehr darum, Erster zu werden. Wir sind zu bescheiden geworden. Offensichtlich ist sich ja nicht einmal die ÖVP mehr sicher, ob sie bei der nächsten Wahl überhaupt Erster werden will.

Zur Person

Michael Landertshammer (57) ist Leiter der Abteilung für Bildungspolitik der Wirtschaftskammer Österreich und Chef des Weiterbildungsinstituts Wifi. Von 1996 bis 2001 war der Jurist Geschäftsführer der FH der Wiener Wirtschaft, von 1999 bis 2011 zudem Präsident der Fachhochschulkonferenz. [Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2011)

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