Ausgebrannt: Lehrer am Ende ihrer Kräfte

Ausgebrannt Lehrer Ende ihrer
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Jeder zehnte Lehrer ist stark Burn-out gefährdet. Immer mehr Aufgaben und größerer Druck belasten Pädagogen, die Schule steht unter „Ineffizienzverdacht“. Auch die oft falsche Berufswahl ist ein Problem.

Wien. Es beginnt am ersten Schultag. Auf Druck des Schulinspektors hat sich die Volkschullehrerin Iris Winkler (Name von der Redaktion geändert) vom Land nach Graz versetzen lassen. Als sie zum ersten Mal vor ihrer neuen Klasse steht, wird ihr schwindlig. Mehrere Kinder sind verhaltensauffällig. Unmöglich, diese Klasse alleine zu unterrichten, erfährt Winkler später beim Getuschel im Konferenzzimmer. Da ist zum ersten Mal dieses Gefühl, das sie nicht mehr loslassen wird: Ich schaffe das nicht.

Die 55-Jährige versucht es dennoch. Als Versagerin will sie keinesfalls dastehen. Sie klammert sich an Lichtblicke. Dabei sitzt ihr die Angst vor dem nächsten Schultag jeden Abend im Nacken. Die Lehrerin schläft schlecht, tagsüber ist sie ausgelaugt, steht neben sich. Eine Psychotherapeutin verschreibt Antidepressiva, Winkler unterrichtet weiter. Mitte November erkrankt sie. Erst ist es eine Grippe. Dann stellt die Ärztin die Diagnose Burn-out.

Altersteilzeit als letzter Ausweg?

Iris Winkler ist nicht die einzige. Laut einer Studie der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) in Wien sei jeder dritte Pflichtschullehrer Burn-out-gefährdet, jeder zehnte stehe sogar kurz davor „auszubrennen“. Bei AHS-Lehrern ist die Lage ähnlich. Laut einer oberösterreichischen Studie würden 32 Prozent an erhöhter psychischer Belastung leiden. Im Durchschnitt der Österreicher sind es nur halb so viele.

Gehen Lehrer in Frühpension, sei oft psychische Überlastung der Grund, das ergab ein Bericht des Rechnungshofs. Immer mehr Pädagogen nehmen Sabbaticals oder Altersteilzeit in Anspruch: Für die Gewerkschaft ein Zeichen dafür, dass sie „nicht mehr können“.

Trennung von Beruf und Privatem

Ist die Burn-out-Gefahr bei Lehrern geradezu institutionalisiert? Ja, sagt Walter Herzog, Erziehungswissenschafter an der Uni Bern. Gerade als Lehrer sei es schwierig, den Beruf nicht persönlich zu nehmen: „Die Trennung zwischen den Rollen, die in anderen Berufen eher möglich ist, ist für Pädagogen nicht so leicht.“ Dazu kommt, dass Lehrer für immer mehr und immer vielfältigere Aufgaben verantwortlich gemacht werden: Sie sollen jeden Schüler individuell betreuen, Verwaltungsarbeit erledigen und gleichzeitig Reformen mittragen. „Viele nehmen das an, obwohl sie wissen: Eigentlich kann ich es nicht schaffen“, sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien.

Auch der Umgang mit den Eltern werde immer anspruchsvoller, sagt Herzog: „Eltern wissen zunehmend, wie wichtig ein guter Schulabschluss ist. Das wird oft in Ansprüche gegenüber dem Lehrer umgesetzt.“ Dazu komme ein immer größerer Druck vonseiten der Politik: Seit die Lernergebnisse verstärkt durch Studien wie PISA gemessen werden, stehe die Schule pauschal unter „Ineffizienzverdacht“, sagt Herzog. Das gehe mit einem negativen Lehrerbild einher. „Gerade für einen sehr engagierten Lehrer ist das enorm belastend“, sagt Spiel. Doch der Beruf könne nicht der einzige Grund für das Ausbrennen sein: „Ein Burn-out hat immer mit subjektiv wahrgenommenen Belastungen zu tun. Da sind auch psychische Veranlagungen im Spiel.“

Falsche Berufswahl als Grund

Deutsche Studien legen nahe, dass viele Pädagogen den falschen Beruf wählen würden: 60 Prozent der Lehrer, die über besondere Belastungen klagen, waren schon im Studium überfordert, so das Fazit einer Untersuchung der Universität Frankfurt. Laut einer Studie der Uni Potsdam sei ein Viertel der Lehramtskandidaten psychisch nicht für den Beruf geeignet: Sie würden sich permanent überfordert fühlen, seien wenig belastbar und resignierten rasch. „Das Problem der falschen Berufswahl gibt es überall“, sagt Spiel. Das Problem: Die Lehrerausbildung mündet in ein ausgesprochen enges Berufsfeld.

Walter Herzog wünscht sich daher eine bessere Selektion der angehenden Lehrer. Er ortet auch Mängel in der Ausbildung als Grund für die Überforderung: Studenten würden nicht ausreichend auf spezielle Probleme ihres Berufs vorbereitet. Dabei sei gerade dies das Um und Auf: „Sobald ich eine fundierte Ausbildung habe, bin ich auch für alle Belastungssituationen besser gerüstet“, sagt Spiel.

Direktoren sind gefordert

Tauchen dennoch Probleme auf, ist die Schulleitung gefordert. „Sie muss möglichst früh intervenieren“, sagt Herzog: „Denn wenn ein Burn-out einmal eingetreten ist, ist es bekanntlich schwierig, da wieder herauszukommen.“

Iris Winkler fühlte sich damals von ihrer Direktorin im Stich gelassen. Sie hat drei Monate gebraucht, um sich von ihrem Burn-out zu erholen. Heute unterrichtet Winkler an einer anderen Schule in Graz, hat Stunden reduziert. „Lehrerin zu sein, ist mein Traumberuf“, sagt sie bis heute. „Aber ich will einfach nicht aufgerieben werden.“

Auf einen Blick

Burn-out-Patienten zeigen häufig drei Arten von Symptomen: Sie sind emotional und körperlich erschöpft, entfremden sich von ihrer Arbeit, ziehen sich von Freunden zurück und haben kein Vertrauen in ihre Fähigkeiten mehr.

Gefährdet ist, wer dauerhaft an seine Grenzen geht, was Zeit und Energie betrifft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2010)

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