Wenn Eltern über Unterricht und Noten entscheiden wollen

Die Eltern stellen immer konkretere Forderungen an den Unterricht ihrer Kinder. Der Druck auf die Lehrer nimmt zu. Kritische Stimmen bezeichnen den Umgang mit schwierigen Eltern als eine der größten Belastungen im Schulalltag.

Die Wunschliste ist lang. Die Volksschullehrerin sollte nicht zu streng, aber anspruchsvoll sein. Frontalunterricht ist unerwünscht, das offene Lernen sollte ein gewisses Maß aber nicht überschreiten. Die Vorstellungen vieler Eltern sind konkret. Sehr konkret sogar. Das bekommen auch die Lehrer immer häufiger zu spüren.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Eltern schon zwei Jahre vor der Einschulung ihres Kindes auf die Suche nach der geeigneten Schule machen. Doch nicht nur diese Entscheidung will wohlüberlegt sein, auch auf die Auswahl des Lehrers wollen Eltern häufiger Einfluss nehmen. „Ich hätte für mein Kind gerne Frau Huber als Klassenlehrerin: Dieser Wunsch wird immer öfter an mich herangetragen“, sagt Karin Kratzer, Direktorin der Volksschule Flotowgasse im 19.Wiener Gemeindebezirk. Sie versucht, die Wünsche so weit wie möglich zu erfüllen. Denn tut sie das nicht, kommen die Kinder auch nicht an ihre Schule. Immer könne sie derartigen Forderungen aber nicht nachkommen – 40 Anmeldungen für Frau Huber seien eben nicht möglich.


Expertise.Doch bei der Auswahl der Lehrer enden die Forderungen der Eltern nicht. Immer öfter wollen sie auch auf den Unterricht Einfluss nehmen. Das Bild des Lehrers als pädagogischen Experten haben die meisten Erziehungsberechtigten schon lange nicht mehr vor Augen. Die eigene Expertise stehe jener der Pädagogen um nichts nach, so die weit verbreitete Meinung. „Die Eltern kritisieren die Menge der Hausübungen, die Aufgabenstellung, sie fordern, dass die Kinder täglich den Pausenhof nützen etc.“, sagt Kratzer. Kritik dürfe natürlich nicht unter den Tisch gekehrt, müsse aber mit Respekt und Augenmaß geübt werden. „Es gibt Grenzen, die dürfen nicht überschritten werden“, sagt Pflichtschullehrergewerkschafter Paul Kimberger. Die Pädagogik, die Didaktik, die Organisation des Unterrichts und die Notengebung seien Sache der Experten. Und die seien nun einmal die Lehrer.

Auch Günther Hoegg, Lehrer und Jurist aus Deutschland, beklagt in seinem aktuellen Buch „eine Entwicklung, die darin besteht, dass Eltern die Entscheidungen der Schule immer weniger akzeptieren oder gar unterstützen“. So werde in Umfragen unter Lehrern der Umgang mit schwierigen Eltern stets als eine der drei größten Belastungen genannt.


Notendruck. Besonders groß wird der Druck auf die Lehrer, wenn es um die Zeugnisnoten geht. Seit Jahren klagt die Gewerkschaft, Eltern würden bessere Noten für ihre Kinder einfordern. Denn ob Volksschüler nach der vierten Klasse in ein Gymnasium wechseln können, hängt stark von ihren Noten ab. „Es gibt Eltern, die die eigenen Wünsche und nicht die ihres Kindes in den Vordergrund stellen“, sagt Kimberger. Kratzer kennt diese Situation aus der Praxis: „Sie sind schuld, wenn mein Kind nicht in Schule X kommt“, „Sie verbauen meinem Kind die Zukunft“, so die Vorwürfe mancher Eltern. In einzelnen Fällen gehe das so weit, dass Anwälte eingesetzt werden. Und immer mehr Lehrer beugen sich diesem Druck der Eltern. Als eine „falsch verstandene Kundenfreundlichkeit im System“ bezeichnet das Thomas Bulant, stellvertretender Vorsitzender der Pflichtschullehrergewerkschaft.

In Wien führte der ausgeübte Druck in Sachen Notenvergabe im vergangenen Schuljahr dazu, dass sich Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl einschaltete. Sie schrieb einen Brief an die Lehrer. Ihr Wunsch: Die Pädagogen sollten auf ihre eigene Expertise vertrauen. Der Stadtschulrat stehe jedenfalls hinter etwaigen umstrittenen Entscheidungen der Lehrpersonen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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