Deutschsprachige Nachbarn. Die Schweiz hat nach dem PISA-Schock 2000 an fast allen Schulen Leseaktionen gestartet. Auch Liechtenstein und Deutschland liegen vorn.
Wien. Lesenächte in Schlafsäcken im Klassenzimmer. Oder an mehreren Schulen gemeinsam so viele Seiten aus Kinderbüchern lesen, dass man mit ihnen den Weg von der Schweiz bis ins italienische Pisa pflastern könnte: Die Schweizer haben seit 2002 gezielt in die Leseförderung an Schulen und zu Hause investiert, und das jüngste PISA-Ergebnis hat sie belohnt. Nach dem Schock 2000, als die Schweiz beim Lesen nur 494 Punkte holte, sammelten ihre 15- und 16-jährigen Schüler im Vorjahr 501 Punkte, der OECD-Durchschnitt ist gleichzeitig von 500 auf 494 Punkte gesunken.
Unter 34 OECD-Ländern liegt die Schweiz nun auf Platz zehn, es ist damit das beste deutschsprachige Land im PISA-Vergleich von insgesamt 65 OECD- und Partnerländern weltweit. Deutschland steigerte sich seit 2000 von 484 auf 497 Punkte (Platz 15), das Nicht-OECD-Mitglied Liechtenstein von 483 auf 499 Punkte. Und Österreich? Sackte seit 2000, als „Lesen“ so wie im Jahr 2009 PISA-Schwerpunkt war, von 507 auf 470 Punkte ab – Platz 31 unter den 34 OECD-Ländern. Nur die Türken, Chilenen und Mexikaner lesen noch schlechter.
„Keinen Zufall“ nennt PISA-Experte Heinz Rhyn von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) den Aufstieg seines Landes im Gespräch mit der „Presse“. Nach dem Schweizer Lese-Debakel 2000 hat die EDK einen nationalen Aktionsplan „Folgemaßnahmen zu PISA 2000“ erstellt – mit Vorgaben wie einer generellen Sprachförderung, speziellen Projekten für Migranten sowie Frühförderung in Kindergärten: Dort wird seit 2002 kaum noch Mundart geredet; Standardsprache ist das Hochdeutsche.
Schweiz: Keine Organisationsfrage
Konkreter formuliert haben die Maßnahmen die 26 Schweizer Kantone, für die Umsetzung waren und sind die Schulen verantwortlich. Vor allem sei in den Vorjahren aber die „Achtsamkeit für Leseförderung“ unter den Lehrern gewachsen, sagt Anton Strittmatter von der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands der Schweizer Lehrer. „PISA vergleicht Schulsysteme, bei uns hat es aber vor allem pädagogische Verbesserungen, nicht eine Organisationsreform gegeben.“ Das mehrgliedrige System nach der Primarschule (Grundschule) bleibt.
In Deutschland engagieren sich staatliche Stellen, aber auch externe Partner in bundesweiten und länderspezifischen Initiativen für besseres Lesen – wie das Leseforum Bayern. Von allen Ländern getragen wird das Projekt „ProLesen. Auf dem Weg zur Leseschule“ mit Leseförderung in allen Gegenständen.
Auch Liechtenstein hat seit 2000 zahlreiche Projekte umgesetzt, darunter die „Lesesäcke“ mit Dutzenden Büchern zum Austausch unter Schülern. Bei der „Lesemotivation“ der 15-Jährigen sieht das Schulamt dennoch großen Nachholbedarf: Hier lag Liechtenstein bei PISA 2009 mit 48 Prozent auf dem letzten Platz – hinter dem Vorletzten, Österreich, und dem Drittletzten, der Schweiz. Erster war Albanien mit 90 Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)