Akademiker flüchten aus Österreich

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Nicht einmal jeder fünfte Studienabsolvent aus dem Nicht-EU-Raum strebt einen Job in Österreich an. Auch heimische Akademiker suchen häufig das Weite.

Wien. Für Akademiker scheint Österreich nur bedingt attraktiv zu sein. Nicht nur, dass österreichische Hochschulabsolventen überdurchschnittlich oft das Land verlassen – auch Ausländer, die in Österreich ihr Studium absolvieren, bleiben zumeist nicht hier. Das Resultat: ein doppelter Akademikerschwund.

Besonders drastisch zeigt sich das bei den Uni-Absolventen aus dem Nicht-EU-Ausland. Nicht einmal jeder Fünfte strebt hierzulande einen Job an. Das zeigen die ersten Detailauswertungen zur Rot-Weiß-Rot-Card, die der „Presse“ exklusiv vorliegen. Demnach haben im ersten Jahr nur 222 ausländische Absolventen die Rot-Weiß-Rot-Card beantragt, die den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt ermöglicht. Eine überraschend geringe Zahl. Zum Vergleich: Allein im Studienjahr 2010/11 haben 1285 Drittstaatsangehörige ein Master- oder Diplomstudium in Österreich abgeschlossen. Dabei sollte gerade die Einführung der Rot-Weiß-Rot-Card am 1.Juli 2011 dem Schwund an ausländischen Jungakademikern entgegenwirken. Das Ziel wurde klar verfehlt. Und das, obwohl der Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich erleichtert wurde. Anders als bisher können ausländische Akademiker nach Studienabschluss ein halbes Jahr in Österreich bleiben, um einen Job zu suchen. Bleiben dürfen Absolventen, wenn sie einen Arbeitsplatz auf akademischem Niveau finden, bei dem sie monatlich mindestens 1903,50 Euro brutto verdienen. Vor der Gesetzesänderung lag das Mindestgehalt bei 2520 Euro.

„Unfassbare Kriterien“

Von den 222 Anträgen wurden 188positiv bestätigt. Auffallend ist, dass Österreich für manche Nationalitäten attraktiver zu sein scheint als für andere. 61 der 188 Besitzer einer Rot-Weiß-Rot-Card sind Bosnier. Die zweitgrößte Gruppe stellen chinesische Staatsbürger dar – an sie gehen 17 Rot-Weiß-Rot-Karten. An Russen, Inder und Türken jeweils elf.

Dass Absolventen nur wenige Anträge stellten, führt Margit Kreuzhuber, Beauftragte für Migration und Integration der Wirtschaftskammer Österreich, auf ein „starkes Kommunikationsproblem“ zurück. Bislang schien sich niemand wirklich zuständig zu fühlen, die Betroffenen über die Neuregelungen zu informieren. Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) sieht das anders: Schuld seien „die unfassbar anspruchsvollen Kriterien“, die Studienabsolventen erfüllen müssen, um eine Rot-Weiß-Rot-Card zu erhalten.

Ein Manko hat die Rot-Weiß-Rot-Card tatsächlich: Erteilt wird sie nur an Master- und Diplomabsolventen. Ein Bachelor ist zu wenig. Der erleichterte Zugang zum Arbeitsmarkt blieb den 681 ausländischen Bachelorabsolventen im Studienjahr 2010/11 daher verwehrt. Die Wirtschaftskammer fordert eine Änderung des Gesetzes.

Ausländische Studienabsolventen im Land zu halten, wäre vor allem aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig. Immerhin werden sie großteils auf Kosten der österreichischen Steuerzahler ausgebildet. Die Zahl der ausländischen Studierenden ist außerdem nicht unerheblich: Im Studienjahr 2010/11 waren es insgesamt 77.827. Rund zwei Drittel davon sind EU-Bürger. Genaue Zahlen, wie viele von diesen nach dem Studienabschluss im Land bleiben, gibt es nicht. Nur so viel: Eine kürzlich veröffentlichte Studie, welche die Attraktivität von Wien als Wissenschaftsstandort untersuchte, kam zum Schluss, dass die „Verbleibe-Attraktivität“ in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern gering ist.

5000 Österreicher gehen verloren

Doch nicht nur ausländische Studierende suchen nach Studienabschluss häufig das Weite. Insgesamt verlassen jährlich fast 20.000 Österreicher ihre Heimat. Zurück kehren nur rund 15.000. Österreich verliert so jährlich rund 5000 Bürger ans Ausland. Anders als gemeinhin angenommen, sind es nicht eingebürgerte Gastarbeiter, die zurück in die Heimat gehen. „Abwanderer sind überwiegend jung und hoch qualifiziert“, sagt Heinz Fassmann, Migrationsexperte und Vizerektor der Uni Wien. Seinen Beobachtungen zufolge haben rund 68 Prozent der österreichischen Auswanderer zumindest Matura oder einen Hochschulabschluss. Genaue Zahlen fehlen aber auch hier. „Auf die Abwanderung wird kein statistisches Auge geworfen“, sagt Fassmann. Ein Fehler, denn Österreich leide schon lange an einem „Braindrain“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2012)

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