Rankings: Forscher ortet "intellektuelle Korruption"

(c) Die Presse (Bruckberger)
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Der Wissenschaftssoziologe Gingras warnt vor "perversen Effekten" durch das Rennen um gute Platzierungen. Etwa: Falsche Arbeitsadressen.

Yves Gingras, Wissenschaftssoziologe an der Universite du Quebec in Montreal, warnt vor "perversen Effekten" durch internationale Uni-Rankings: Das Rennen um gute Platzierungen, die von der Politik verstärkt zur Evaluierung und als Kriterium für die Mittelzuteilung genutzt werden, fördere "intellektuelle Korruption", schreibt er in seinem neuen Buch über Forschungsevaluierung.

Die vorhandenen Rankings hätten "keinerlei wissenschaftlichen Wert", würden die Leistungen der Unis schlecht abbilden und stets ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region bevorzugen, schreibt Gingras in seinem neuen Buch "Die Auswüchse der Forschungsevaluierung" ("Les derives de l'evaluation de la recherche"). Doch trotz diverser Schwächen hätten Ranglisten in der vergangenen Jahren immer mehr Einfluss auf hochschulpolitische Entscheidungen gewonnen. Auch die Unis selbst setzten sie als Marketinginstrument ein.

Falsche Arbeitsadressen angegeben

Eine der "perversen Folgen", die Gingras beschreibt: Manche Unis kontaktieren viel zitierte Autoren und bieten ihnen großzügige Summen an, wenn sie diese Einrichtung als Arbeitsadresse angeben, obwohl sie dort weder je gelehrt noch geforscht haben. Bei mehreren US-Unis wurde außerdem nachgewiesen, dass sie gezielt Daten frisiert haben, um in den Rankings besser abzuschneiden. Andere versuchen durch das künstliche Hinauftreiben von Publikationen in hochbewerteten Magazinen in den Ranglisten nach oben zu klettern, während einige wenige Fachzeitschriften wiederum durch "Zitierkartelle" versuchen, zur Absatzsteigerung ihren Impactfaktor künstlich nach oben zu treiben.

Ein wesentlicher Faktor bei Uni-Rankings ist Bibliometrie, also die Untersuchung von Publikationen, Autoren und Institutionen durch statistische Verfahren. Bei den großen Rankings machen Publikationen zwischen 20 und 60 Prozent der Bewertung aus. Für Gingras sind Ranglisten wie Times Higher Education (THE), QS und Shanghai vor allem wegen ihres "anarchischen, um nicht zu sagen wilden" Einsatzes von Bibliometrie eine "Black Box". Die Kritik an den Rankings habe zwar mittlerweile dazu geführt, dass sich die International Ranking Group, in der auch die Ersteller der diversen Ranglisten vertreten sind, zur Qualitätssicherung auf bestimmte Prinzipien geeinigt hat. Für Gingras sind das allerdings mangels konkreter Vorgaben und Verbindlichkeit nur leere Versprechungen.

Unibudget teils abhängig von Publikationen

Auch abseits der Rankings greift das "Evaluierungsfieber" um sich, beklagt der Wissenschaftssoziologe den willkürlichen Einsatz der Bibliometrie zur Bewertung von Hochschulen und Forschern. In Ländern wie Großbritannien, Australien oder Belgien (Flandern) ist zumindest ein Teil des Unibudgets von Publikationen in Zeitschriften mit hohem Impactfaktor abhängig. Für Gingras eine nicht nachvollziehbare Entscheidung: Immerhin sage der Impactfaktor, der ursprünglich bloß Bibliothekaren bei der Auswahl der relevantesten Fachzeitschriften helfen sollte, nur etwas über die durchschnittlichen Zitierungen einer Ausgabe und nicht eines einzelnen Artikels aus. In manchen Ländern (China, Japan, Pakistan, Südkorea) ist der Impactfaktor sogar Grundlage für die Ausbezahlung von Prämien.

Gingras warnt vor den Folgen dieser Fixierung auf besonders impactstarke Zeitschriften: Randthemen und Themen, die nur lokale Bedeutung haben oder nicht modern sind, würden seltener beforscht. Vor allem in den Sozial- und Humanwissenschaften sieht er die Gefahr, dass die Forschung sich immer stärker international und theoretisch ausrichtet, weil damit die Chancen auf eine Publikation in den meist aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Zeitschriften mit dem höchsten Impactfaktor steigen.

Dabei, so Gingras, seien Zitierungen nicht einmal dazu geeignet, um etwas über die Qualität einer Studie oder eines Forschers auszusagen: Die Kultur des Zitierens sei in den verschiedenen Disziplinen (Biomedizin, Natur-, Sozial-, Geisteswissenschaften) nicht vergleichbar. Außerdem hätten schon erste Untersuchungen in den 1960ern gezeigt, dass Zitierungen nicht mit dem Intellekt eines Forschers zusammenhängen, sondern dem Prestige der Uni, an der er sein Doktorat absolviert hat.

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