Aktzeichnen: „Erotik finden Sie doch anderswo viel besser“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Über das fehlende Prickeln im Zeichensaal und warum Aktzeichnen den Künstler zwar vieles, „das Subjektive“ aber letztlich doch nicht lehren kann: Ein erhellender Besuch an der Universität für angewandte Kunst.

Nackt ist nackt – und daher immer erotisch? Eben nicht. Wer im atmosphärischen Mix eines professionellen Aktzeichenkurses auf Grund der Anwesenheit gänzlich entblößter junger Menschen (an sich ist der Gedanke also nicht ganz abwegig) einen prickelnden Anteil vermutet, irrt: Ernsthafter könnte die Stimmung am Dienstagabend im wöchentlichen Aktzeichenkurs der Universität für angewandte Kunst kaum sein – und wenn schon keine Steck-, so könnte man im gut gefüllten Saal zumindest eine Stricknadel fallen hören.

Erhärtet erscheinen die Gesichtszüge der Teilnehmer ob ihrer Konzentration, hastig wandern 40 Augenpaare zwischen Zeichenblock und Modell hin und her – als ob letzteres den Anschein hätte, jeden Moment den Fängen des Bleistifts entkommen zu wollen. Dabei stehen sie wirklich still, die drei Frauen und der Mann, die splitternackt in der Raummitte stehen oder sitzen, jeweils einer der vier Raumseiten zugewandt.

Bewegung? Nur die Lippen!

Wenn sie das Kratzen und Schaben der Blei-, Grafit- und Kohlestifte am Papier sowie das dumpfe Stimmengewirr als ablenkend empfinden, kaschieren sie dies gut – nur ab und zu stützt sich eine Hand am Körper lieber da statt dort ab, dreht sich der Kopf in eine entspanntere Position, wechselt ein Modell mit dem anderen ein paar Worte – natürlich ohne dabei mehr als die Lippen zu bewegen.

„Schau'n Sie, wie angespannt der schaut, der sieht gar nicht, dass das Modell nackt ist“ flüstert Josef Kaiser, Vizerektor für Lehre und Leiter der Abteilung für Aktzeichnen, während er unauffällig in Richtung eines Mannes weist, der in einer Ecke mit kaum übersehbarer Akribie an seinem Werk arbeitet. „Er ist schon Baumeister, jetzt will er aber doch noch den Umgang mit Proportionen von Grund auf lernen“, so Kaiser über den spät berufenen Schüler (der Kurs ist an diesem Tag für Interessierte von außen zugänglich), „aber er kämpft sehr, und scheitert immer wieder aufs Neue“.

„Die dort ist zum Beispiel schon sehr gut“, meint Kaiser über eine Studentin der Angewandten, die deutlich gelassener zeichnet. Sie habe man eingeladen, um den Anfängern eine Art Ziel ihrer künstlerischen Entwicklung vor Augen zu führen. Zu Recht, wie auch wenig geschulte Augen erkennen: Es sind nur wenige schwarzgraue Pinselstriche, die auf der Staffelei der jungen Frau zu sehen sind – mit bestechend eigenwilligem Ausdruck jedoch, der die zarten Bleistift-Männchen anderer Teilnehmer rasch verblassen lässt.

Dabei könne das Konstruieren eines Körpers am Papier von nahezu jedem erlernt werden – der persönliche Ausdruck aber nicht, wie Kaiser später in seinem Büro nüchtern feststellt. „Man kann jemanden nicht dazu bringen, das Subjektive zu erlernen, wenn er es nicht in sich hat.“ Doch genau darauf komme es an. Vorausgesetzt, die formalen Kriterien sitzen – also die Linienführung, das Verstehen der Konstruktion eines Objekts an sich und das künstlerische „Sehen“ eines Motivs, ohne es dabei als „fotografischen Abklatsch“ zu zeichnen. Fähigkeiten, die alle Studenten eines kreativen Fachs erlernen müssen. Mehrere Stunden Aktzeichnen sind daher nicht nur im Studium „Bildende Kunst“ oder „Malerei“ Pflicht, sondern auch etwa für angehende Grafiker, Keramiker und Designer.

„Die ursprünglichste Form“

Warum aber hat sich ausgerechnet der nackte Körper über Jahrhunderte als Parade-Studienobjekt für angehende Künstler gehalten? „Er ist uns das nächste Motiv, die ursprünglichste Form, die den Menschen darstellt“, so Kaiser, „es ist kein Zufall, das Michelangelo die Sixtinische Kapelle mit Aktfiguren ausgemalt hat.“ Zur verlegenen Reaktionen führe die Konfrontation mit nackten Fremden bei den Studenten nicht. Kaiser: „Erotik findet man ja anderswo wirklich besser“.

Also kein Knistern im Zeichensaal. Vielleicht auch, weil acht Neonröhren und 15 Scheinwerfer ein beinahe klinisch helles Licht produzieren – anti-romantisch könnte man das nennen, jedenfalls aber wenig schmeichelnd für die Modelle.

Modellstehen als Sport

Nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden? „Wir suchen Leute mit ganz spezieller Charakteristik, nicht diese schönen Menschen aus der Werbung“ sagt Josef Kaiser: „Ganz ehrlich war das Angebot früher spannender. Jetzt versuchen wir trotzdem, die Rosinen heraus zu picken.“

Die „Rosinen“ haben sich indes – den Körper in ein weißes Tuch gehüllt – dezent in einen Nebenraum des Zeichensaals zurückgezogen, um zu pausieren. Erst verhalten, später immer redseliger, erzählen sie über die Motivation für ihren pikanten Nebenjob, für den sie mit rund zwölf Euro pro Stunde entlohnt werden: Elisa Stummer etwa, die die permanente Körperspannung beim Posieren als sportlichen Ausgleich zur Erziehung ihrer Kinder versteht, gerne nackt ist und „auch immer nackt baden geht“. Mit dabei ist auch Sängerin Tamara Trombitas, die „total auf die kreative Atmosphäre steht“ oder die schüchterne Katharina Pfiel, die sich immer wieder fragt, warum Teilnehmer verwundert blicken, wenn ein weibliches Modell die Beine spreizt: „Bei Männern ist das immer noch viel normaler – das verstehe ich bis heute nicht.“

AKTZEICHNEN. Kurse

Info zu Kursen (Angewandte):

www1.uni-ak.ac.at/aktzeichnen("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2008)

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