Medizin: Österreich verliert Deutsche

(c) APA (Herbert Neubauer)
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Acht von zehn Deutschen, die in Österreich Medizin studieren, arbeiten danach nicht hier. Als Argument für die Verlängerung der Medizinquote ist das gut – prinzipiell aber problematisch.

Wien. Österreich steht mittlerweile seit Jahren unter Zugzwang: Die EU-Kommission wartet nämlich noch immer auf den Beweis dafür, dass die Gesundheitsversorgung in Österreich ohne die geltende Quote für Medizinstudenten – bei der drei Viertel der Studienplätze für Österreicher reserviert werden – stark gefährdet wäre. Bis 2016 ist dafür noch Zeit – sonst kippt die Quote. Nun ist Österreich in der Beweisführung ein Schritt vorwärts gelungen.

Erstmals gibt es Zahlen, die zeigen, wie viele ausländische Medizinstudenten lediglich in Österreich studieren und nach ihrem Studienabschluss das Land wieder verlassen. Das trifft laut Zahlen des Wissenschaftsministeriums auf 79 Prozent der deutschen Medizinstudenten und auf 56 Prozent der übrigen ausländischen Studienabsolventen zu. Hierfür wurde die Berufssituation von Absolventen der Human- und Zahnmedizin an den Medizin-Unis Wien, Graz und Innsbruck der Jahrgänge 2011 bis 2013 untersucht (553 Personen, Rücklauf: 56 Prozent).

Niemand fühlt sich zuständig

Die deutschen Absolventen gehen bevorzugt zurück in die Heimat: 68 Prozent sind in Deutschland berufstätig, elf Prozent in einem anderen Land und 21 Prozent in Österreich. Die Zahlen mögen Österreich als Beweis für die Notwendigkeit einer Quote dienlich sein, prinzipiell sind sie aber alarmierend. Nicht nur, weil Österreich viel in die Ausbildung investiert und dann nicht davon profitiert, sondern auch, weil der Ärztemangel ein zunehmendes Problem wird.

In der österreichischen Politik will sich aber niemand wirklich zuständig fühlen. Im Wissenschaftsministerium argumentiert man, dass das Medizinstudium an sich – und nur dafür sei das Wissenschaftsressort zuständig – ja sehr beliebt sei. Es brauche lediglich eine „Attraktivierung des Arztberufs“ und da liege „die Zuständigkeit und Möglichkeit“, Maßnahmen zu setzen, „beim Gesundheitsministerium, den Ländern sowie der Ärztekammer“.

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) sieht aber keinen Handlungsbedarf – oder besser: keinen Handlungsspielraum. In der EU gelte der freie Personenverkehr. EU-Bürger hätten also das Recht, zu studieren und zu arbeiten, „wo sie wollen“. Österreich könne hier nicht eingreifen, sondern habe das zu respektieren. Ein wenig anders verhält es sich mit den österreichischen Medizinabsolventen, zumal auch immer mehr angehende Ärzte aus Österreich emigrieren. Allein in Deutschland sind rund 3000 österreichische Mediziner beschäftigt.

Das Auswanderungsmotiv? Die meisten sind unzufrieden. Mit der Ausbildung nach dem Studium. Dem Verdienst. Ihrer Gesamtsituation. Eine Umfrage unter den 8800 Turnusärzten hat der Ausbildung ein mäßiges Zeugnis ausgestellt. Die Probleme sind seit Jahren dieselben. Die jungen Mediziner werden auch in der Krankenhausbürokratie eingesetzt. In der Regel verwendet der Turnusarzt 40 Prozent seiner Arbeitszeit für nicht- ärztliche Tätigkeiten. Außerdem verdient er im Schnitt 2200 Euro brutto im Monat. Im Ausland ist das Einkommen oft höher. Und die Ausbildung steht im Mittelpunkt.

Die Gesundheitsministerin verspricht Besserung – durch die neue Ärzteausbildung, die Mitte 2015 beginnt und neben geregelten Kernarbeitszeiten für Turnusärzte auch eine Lehrpraxis für angehende Allgemeinmediziner mit sich bringt. Alles andere, heißt es aus Oberhausers Büro, entziehe sich ihrem Zuständigkeitsbereich, was – im komplexen österreichischen Gesundheitssystem – stimmt. Das Medizinstudium fällt in den Verantwortungsbereich des Wissenschaftsministeriums. Für die Ärztegehälter sind die Krankenkassen (niedergelassene Mediziner) und die Länder (Krankenhäuser) zuständig.

Für die Spitalsärzte kommt mit 2015 noch eine neue, von der EU verordnete Arbeitszeitregelung hinzu, die ihr durchschnittliches Arbeitspensum mit 48 Wochenstunden begrenzt. Derzeit sind es bis zu 72. Die Ärzte sind ob der Gehaltseinbußen verunsichert und fordern höhere Grundgehälter. In manchen Bundesländern wurden schon Einigungen erzielt, in anderen wird verhandelt. Streikdrohungen inklusive.

Auf einen Blick

Durch die Medizinquote sind drei Viertel der Medizin-Studienplätze in Österreich für österreichische Bewerber reserviert. 20 Prozent gehen an EU-Bürger und fünf Prozent an Drittstaatenangehörige. Die Regelung war von der EU-Kommission wegen Diskriminierung von EU-Bürgern bekämpft worden. Bis 2016 wurde dann aber ein Moratorium gewährt: Bis dahin muss Österreich den Nachweis erbringen, dass ohne Quote die Gesundheitsversorgung stark gefährdet wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2014)

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