Aufnahmetest: Sozialpraktikum vor Medizinstudium

(c) Die Presse (Eva Rauer)
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Die Vizerektorin der Med-Uni Wien, Karin Gutiérrez-Lobos, kann sich angesichts des schlechteren Abschneidens von Frauen neuerliche Änderungen beim Aufnahmetest vorstellen.

Die Presse: Heuer wurden mehr Frauen als Männer zum Medizinstudium in Österreich zugelassen. Trotzdem wird erneut über die Benachteiligung von Frauen diskutiert. Verstehen Sie, dass das viele nicht verstehen?

Karin Gutiérrez-Lobos: Im 19. Jahrhundert hat man darüber diskutiert, ob man Frauen überhaupt zum Studium zulassen sollte, und jetzt diskutiert man eben über die Geschlechtsverteilung. Das sind schon zielführende Diskussionen. Immerhin gehen wir davon aus, dass Frauen und Männer gleich geeignet sind.

Wann wird diese Diskussion beendet sein? Wenn der Frauenanteil unter den zugelassenen Studienanfängern gleich hoch ist wie unter den Bewerbern?

Das weiß ich nicht. Mir ist wichtig, dass wir in den vergangenen Jahren durch Änderungen beim Test für mehr Fairness gesorgt haben.

Wann ist ein Test eigentlich fair?

Erst dann, wenn er nicht aufgrund eines Geschlechts- oder eines sozialen Merkmals systematisch die Leistung gewisser Gruppen unterschätzt. Die Fairness ist übrigens ein wichtiges Gütekriterium.

Könnte es nicht sein, dass Frauen deshalb tendenziell schlechter beim Test abschneiden, weil sie weniger häufig naturwissenschaftliche Schulen besuchen?

Es könnte ein möglicher Grund sein. Beweisen kann ich das nicht. Wir werden uns das aber noch genauer anschauen. Sollte die Schulwahl etwas damit zu tun haben, dann heißt das auch, dass man das Problem nicht allein an den Unis wird lösen können. Dann muss man schon in der Schule ansetzen.

Die Aufmerksamkeit wird immer auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gelegt. Haben Sie sich mit gleicher Intensität angeschaut, ob Personen aus sozial schwachen Familien unterrepräsentiert sind?

Das werden wir uns noch anschauen. Da haben wir allerdings das Problem, dass wir nur über jene Personen detaillierte Informationen haben, die den Test geschafft haben. Wir werden nun aber die soziale Durchmischung der Absolventen aus den Jahrgängen vor bzw. nach der Einführung des Aufnahmetests vergleichen.

Mittlerweile bewerben sich mehr Frauen als Männer für ein Medizinstudium. Außerdem sind sie während des Studiums erfolgreicher. Wird es eine Art Männerförderung geben?

Wir machen schon ewig ein Mentoringprogramm für Studierende – natürlich für beide Geschlechter. Wenn wir uns den Karriereverlauf anschauen, dann sieht man, dass wir noch immer auf jeder Hierarchiestufe Frauen verlieren. Wir haben schon viele Maßnahmen getroffen, aber der Professorinnenanteil ist noch immer beschämend.

Sucht man bei den Tests eigentlich die besten Medizinstudenten oder die besten Ärzte?

Generell zielen solche Eignungstests überwiegend auf die Studierfähigkeit ab. Die Uni muss dazu beitragen, dass aus diesen Leuten später gute Ärztinnen und Ärzte werden. Dazu sollte man schon gewisse Fähigkeiten mitbringen.

Von politischer Seite wurde eine Überarbeitung des Tests gefordert. Welche Änderungen könnten Sie sich vorstellen?

Es gäbe viele Möglichkeiten: Die Vorlagerung eines Sozialpraktikums, die Miteinbeziehung der Maturanoten oder die Durchführung von Aufnahmegesprächen.

Was erscheint für Sie umsetzbar?

Ich glaube, dass ein fair geregeltes Sozialpraktikum Sinn hat. Jugendliche könnten durch ein Praktikum bei der Rettung oder in einem Altersheim erste Erfahrungen in diesem Berufsfeld sammeln.

2016 läuft die Medizinerquote, die 75Prozent der Studienplätze für Österreicher reserviert, aus. Glauben Sie, dass die EU einer Verlängerung zustimmen wird?

Ich bin keine Kaffeesudleserin, aber ich glaube, es wird gelingen.

Glauben Sie, dass die Verhandlungsposition Österreichs durch die zusätzlichen Studienplätze, die an der Medizinfakultät in Linz geschaffen worden sind, geschwächt wurde?

Das könnte sein. Ich hoffe aber, dass man eine Aufstockung der Plätze in diesem Ausmaß wird argumentieren können.

ZUR PERSON

Karin Gutiérrez-Lobos (58) ist Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien. Die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie ist an der Med-Uni Wien für Lehre, Gender und Diversity zuständig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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