Modelle müssen möglichst einfach sein. Sonst brauchen selbst Hochleistungscomputer Millionen Jahre, um sie zu berechnen, sagt Heinz Engl, Industriemathematiker und Rektor der Uni Wien.
Die Presse: Welche Bedeutung haben Modelle für die Wissenschaft?
Heinz Engl: Jede Disziplin braucht Hypothesen. Man kann nicht einfach irgendetwas ins Blaue hinein beobachten, sondern braucht eine Grundvorstellung, die durch das Experiment natürlich auch korrigiert werden kann. Und diese Grundvorstellung ist meist ein Modell, das man etwa durch mathematische Gleichungen, also durch die Darstellung der Beziehung verschiedener Größen abbilden kann. Modelle sind die Grundlage jeder Wissenschaft.
Wieweit eignen sich Modelle für eine Prognose?
Das hängt vom Gebiet ab. Modelle naturwissenschaftlicher Phänomene sind sehr wohl prognosefähig. Sie wurden bereits im Altertum verwendet, um das Verhalten natürlicher Systeme vorherzusagen. Ein großer Treiber war die Astronomie. Schon vor Jahrtausenden konnte man etwa sehr verlässlich vorhersagen, wann die nächste Sonnenfinsternis eintritt.
Aber gibt es umgekehrt auch inverse Modelle, also solche, die Rückschlüsse erlauben?
In jedem physikalischen System gibt es unbekannte Parameter. In der Stahlverarbeitung etwa die Wärmeleitfähigkeit von Stahl bei bestimmten Temperaturen; sie kann ich nicht direkt messen. Aus Beobachtungen des Verhaltens des Systems versucht man die Parameter zu identifizieren. Viel schwieriger ist es, wenn nicht die Naturwissenschaft hinter dem Modell steht, sondern etwa wirtschafts- oder finanzwissenschaftliche Fragen.
Warum?
Weil die Beschreibung des Verhaltens des Systems eine viel subjektivere ist, weil sie nicht auf Naturgesetzen beruht. Was sich in der Finanzkrise abgespielt hat, hat zum Teil damit zu tun, dass man mathematische Modelle für Finanzinstrumente zur Prognose oder Risikoanalyse verwendet hat, ohne zu bedenken, wie weit der Anwendungsbereich dieser Modelle geht. Und das kann sehr gefährlich sein.
Was ist also das Erfolgsrezept für ein gutes Modell? So genau wie nötig, so einfach wie möglich?
Ja, denn für die Prognosequalität ist es ganz entscheidend, dass ich alle wesentlichen Aspekte, die ich für die Prognose einer konkreten Fragestellung brauche, berücksichtige. Andererseits muss ich ein Modell dann auch berechnen können. Und trotz der Geschwindigkeit und der Komplexität von Hochleistungscomputern kommt man sehr schnell in Bereiche, wo man Millionen Jahre lang berechnen würde, auch auf schnellsten Computern.
Wie gelingt es, das zu verhindern?
Man kann in einem Modell nie alles berücksichtigen. Die entscheidende Frage ist, mathematisch gesprochen: Welche Gleichungen muss ich berücksichtigen, welche kann ich vernachlässigen? Das kann niemals ein Mathematiker allein, dazu bedarf es der Zusammenarbeit von Experten verschiedener Disziplinen. (gral)
Zur Person
Heinz Engl (62) ist Professor für Industriemathematik. An der Uni Linz leitete er bereits ab 1992 ein Christian-Doppler-Labor für Mathematische Modellierung und Numerische Simulation. Seit 2011 ist er Rektor der Universität Wien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)