Neuer Chef des Wissenschaftsrats: „21 Unis sind ein bisschen viel“

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Antonio Loprieno geht davon aus, dass es Fusionen braucht. Die Medizin würde er umkrempeln, die Wissenschaftsgemeinde sei etwas „wehleidig“.

Die Presse: Sie begleiten das österreichische Hochschulsystem schon seit einigen Jahren, jetzt sind Sie neuer Chef des Wissenschaftsrats. Gibt es etwas, worüber Sie sich ärgern?

Antonio Loprieno: Ich könnte jetzt sehr höflich österreichisch sein und sagen: Das Einzige, worüber ich mich ärgere, ist, dass ich nicht häufiger und intensiver mit diesem System zu tun habe (lacht). Aber das wäre wohl eine falsch geratene Orientierung nach k. u. k. Mustern.


Und wir wollen ja gerade einen Blick von außen.

Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, was ärgerlich ist. Österreich ist aber ein interessantes Land, um die Reibung zwischen zwei ganz unterschiedlichen Modellen zu beobachten: der klassischen Humboldt'schen Universität und den globalisierten Trends, in denen die Unis auf Wettbewerb und mehr Forschungsleistung getrimmt sind.


In Österreich ist wohl das traditionelle Modell noch stärker.

Im Vergleich mit der Schweiz und mit Deutschland sind die klassischen Universitätsmuster in Österreich wohl etwas nachhaltiger präsent, mit einer intensiveren strategischen Beteiligung der Stände. Sie werden von den neuen Trends in der Wissenschaft herausgefordert.

Zur Person

Antonio Loprieno (60) ist seit Jänner neuer Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats, der Politik und Hochschulen berät. Der Schweizer Ägyptologe war von 2005 bis 2015 Rektor der Uni Basel und sieben Jahre lang Chef der Schweizer Rektorenkonferenz. Im Jahr 2011 arbeitete er den österreichischen Hochschulplan mit aus.


Was gehört denn am dringendsten angepackt?

Ich glaube, was noch nicht präzise entschieden worden ist, ist, ob man eher ein starkes System von ähnlichen Universitäten will oder Spitzenleistung bei einigen privilegierten Institutionen.


Was wäre denn besser?

Das ist die Gretchenfrage. In welche Richtung das Land tendiert, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden. In der Schweiz ist es eindeutig: einige Unis ganz stark zu machen und andere unausweichlich in die Provinzialität zu rücken. Das hat sich so entwickelt, durch die Förderung von Drittmitteln in bestimmten Fachgebieten. Auch in Deutschland geht es mit der Exzellenzinitiative in diese Richtung. In Österreich wird eher noch das Gesamtsystem gefördert.

Resultiert das vielleicht aus der typisch österreichischen Haltung: bloß niemandem wehtun?

Möglich. Aber jetzt komme ich auf die Frage zurück, was besser ist. Im Sinn der gesellschaftlichen Kohäsion ist es besser, alle an einer kleinen Entwicklung teilhaben zu lassen. Wenn es rein um die Forschungsleistung geht, sollte man sich auf bestimmte Institutionen konzentrieren. Der Preis, den das österreichische System für das Gießkannenprinzip zahlt, ist, dass es damit schwierig wird, zur Weltspitze zu gehören. Aber wenn man in die andere Richtung tendiert, privilegiert man gewisse Regionen, stellt bestimmte Fächer über andere und schafft Ungleichheit.


Immer wieder ist die Frage gestellt worden, ob 21 Unis für ein kleines Land wie Österreich nicht zu viel sind. Wie sehen Sie das?

Von der Perspektive der Schweiz, wo es zwölf größenmäßig überschaubare Unis gibt, finde ich in der Tat 21 Unis ein bisschen viel. Österreich hat die Entscheidung getroffen, in einigen Fällen sehr fachspezifische Unis zu gründen, etwa eine veterinärmedizinische. Ich denke aber, dass wirtschaftliche und wissenschaftspolitische Aspekte das System künftig dazu zwingen werden, die Zahl der Unis zu reduzieren, etwa durch Fusionen.


Das wurde mit den Medizinuniversitäten erst vor einigen Jahren wieder diskutiert.

Die Medizin ist immer irgendwie eine Ausnahme. Letztlich ist es aber so, dass sie sich immer mehr in Richtung Naturwissenschaften entwickelt. Da wäre es vielleicht sinnvoll, den vorklinischen Teil im naturwissenschaftlichen Bereich anzusiedeln und die klinische Ausbildung in Medical Schools nach angelsächsischem Modell anzubieten. Und in einer Wissenschaftslandschaft, die immer mehr auf Verzahnung ausgerichtet ist, sind Unis, die allzu sehr auf ein Fach konzentriert sind, zwar sehr kompakt – aber à la longue vielleicht nicht nachhaltig. Welche das sind, kann ich aber noch nicht sagen.

Beim Geld blicken wir immer ganz neidisch auf die Schweiz. Wie blicken Sie auf uns?

Ich habe den Eindruck, dass die österreichische Wissensgemeinschaft ein bisschen wehleidig geworden ist. Ich werde immer dafür plädieren, dass es eine bessere Finanzierung gibt. Aber Österreich steht viel besser da als andere Länder. Nicht so gut wie die Schweiz, da haben Sie recht. Aber die Schweiz ist hier eher die Ausnahme. Die Finanzierung der Grundlagenforschung könnte höher sein. Und eine Frage, die sich stellt, ist die der Studienplatzbewirtschaftung.


Sie haben einmal 500 Euro Studiengebühren empfohlen. Muss das wieder diskutiert werden?

Ich bin selbstverständlich für Studiengebühren in einem sozial verträglichen Umfang. Es ist nicht mehr so, dass wir dadurch den Zugang zum Studium verunmöglichen. Und es gibt eine moralische Dimension: Moderate Gebühren tun ein bisschen weh, aber dafür will man dann auch etwas von der Institution. Sie haben eine erzieherische Komponente und sie erhöhen die emotionale Bindung.


Soll es in allen Fächern eine Zugangsregelung geben?

Ich bin kein großer Freund von Zugangsbeschränkungen vorweg. Das braucht es nur dort, wo objektive Kapazitätsengpässe bestehen. Generell halte ich es für effektiver, die Tauglichkeit im ersten Semester oder im ersten Jahr zu messen. Es ist volkswirtschaftlich kostspieliger. Aber sozial und psychologisch besser, wenn man beim Zugang nicht allzu viele Hürden baut.


Man hat den Eindruck, Sie sehen das österreichische System gar nicht als die Katastrophe, als die es hierzulande oft gesehen wird.

Diesen Eindruck bestätige ich Ihnen. Erstens, weil ich jetzt auch dazugehöre und ich daher nichts Schlechtes sagen werde (lacht). Und zweitens, weil es stimmt, dass es ein gutes System ist.

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