Die braven Enkel der wilden 68er

(c) Michaela Bruckberger
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Die Studentenproteste sind zum Aufstand gegen die moderne Gesellschaft geworden. Uni-Besetzungen auch in anderen Städten – Bundespräsident über mögliche Gefahr informiert.

Sieben Tage ist es her, dass frustrierte Studenten der Akademie der bildenden Künste zur Selbsthilfe griffen und ihre Uni für besetzt erklärten. Sieben Tage, in denen aus dem Protest einer kleinen Gruppe ein österreichweiter Studentenaufstand erwachsen ist: Rund 10.000 waren es (nach Polizeiangaben), die am Mittwoch in einem Demozug über die Wiener Ringstraße marschierten. In anderen Uni-Städten taten es die Studenten den Wienern gleich und blockierten Hörsäle und Aulen. Die Besetzungen weiten sich dabei wie ein kleiner Flächenbrand aus.

An der Uni Graz haben Studenten alle drei Hörsäle des Vorklinikgebäudes übernommen, auch an der TU Graz gab es Proteste. Ähnliche Szenen spielten sich in Linz ab, wo sich Hochschüler in der Uni wohnlich einrichteten. In Klagenfurt sind Teile der Aula besetzt, in Wien halten Protestierer nach der Akademie und der Uni Wien nun auch Hörsäle in der TU und Räumlichkeiten in der Uni für Bodenkultur. Noch sind die Aktionen in den Bundesländern zögerlich, oft bestehen die Gruppen aus nur 50 Personen. Und doch ziehen die Proteste ihre Kreise: Auch Gewerkschaften und das Ausland haben Notiz genommen. Immer wieder kommen von Studenten deutscher und Schweizer Universitäten Solidaritätsbekundungen. Dem deutschen „Spiegel“ waren die Proteste sogar einen eigenen Artikel wert, in dem von „ausgelaugten Unis in der Alpenrepublik“ zu lesen ist.

„Frust einer ganzen Generation“

Langsam beginnt auch die Politik zu reagieren: Während sich die Grünen mit den Studenten solidarisieren, hat der Wissenschaftsminister und designierte EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) bereits Bundespräsident Heinz Fischer informiert, dass von der Bewegung ein „gewisses Gefahrenpotenzial“ ausgehen könne. Denn auch er weiß: Mittlerweile geht es um mehr als nur um Kritik an seiner Bildungspolitik. Es sind auch gesellschaftspolitische Proteste und linke Systemkritik, die sich breitmachen.

Jene, die heute die Hörsäle blockieren und gegen die Regierungspolitik schreien, sind damit die indirekten Erben jener Unzufriedenen, die als 68er-Bewegung in die Geschichte eingingen. Auch damals waren es heterogene, studentische Gruppen, die im Aufstand ein gemeinsames Ventil für ihren Ärger fanden: „Die Leute sind extrem wütend“, formuliert es einer der Organisatoren der Demo. Es ist „der Frust einer ganzen Generation“, der sich entlädt. „Es hat sich eine Dynamik entwickelt, wie es sie lange nicht gegeben hat.“

Tatsächlich decken die Protestierer ein breites Spektrum ab. Mehr als 80 Arbeitsgruppen haben sich allein im Wiener Audimax gebildet. Die Forderungen nach freier Bildung für alle, der Abschaffung aller Zugangsbeschränkungen und dem endgültigen Ende der Studiengebühren sind längst nur noch ein Teil dessen, was dort besprochen wird. Es geht um den Kampf gegen Sexismus und Rassismus, um den Iran und „sozialistische Antworten auf die Krise“. Wirkliche Konzepte werden in den Gruppen kaum produziert – auch wegen der umständlichen Basisdemokratie, der die Studenten anhängen. In ihren konkreten Forderungen bleiben die Besetzer damit überraschend still.

Um echte Veränderungen herbeizuführen, ist die Bewegung somit zu schwach: Dass die Aufstände Ausmaße wie in den 60er-Jahren annehmen, glaubt Jugendforscher Philipp Ikrath nicht. „Dazu sind noch zu viele zu stark auf ihren eigenen Vorteil fokussiert.“

Dass sich die Wut der Studenten nun so heftig entlädt, sei dennoch nicht unverständlich: „Unter der Oberfläche gärt es schon lange“, so Ikrath. „Es hat nur der Funke gefehlt, der den Protest entfacht.“ Nun bewahrheite sich, was viele nicht glauben wollten: „Die Jugend von heute ist nicht so unpolitisch wie oft behauptet.“ Sie lehne nur die traditionellen Formen politischer Beteiligung ab. Jetzt sei man mit „ihrer“ Form von Engagement konfrontiert: „Zum Protest sind sie nämlich bereit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2009)

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