Rektorenchefs: "Uni-Landschaft bleibt immer eine Baustelle"

(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
  • Drucken

Der österreichische und der Schweizer Rektorenchef im "Presse"-Streitgespräch über privates Geld für die Unis, unqualifizierte deutsche Studierende und warum eine einzige Universität Wien ein Albtraum wäre.

Die Presse: Herr Sünkel, stoßen Sie mitunter an Ihre Grenzen, wenn Sie ausländischen Kollegen wie dem Schweizer Rektorenchef Antonio Loprieno die prekäre Situation der heimischen Unis erklären müssen?

Hans Sünkel: Nicht nur mitunter, sondern ständig. Es ist verdammt schwer, weltweit ein Land zu finden, das in diesem Bereich mit Österreich vergleichbar ist: Freier Hochschulzugang, de facto keine Studiengebühren und kaum private Mittel. Wir sollten uns an anderen Ländern ein Beispiel nehmen und etwa daran denken, viel stärker als bisher private Mittel an Bord zu holen: Fundraising zu betreiben und Industrie oder Wirtschaft einzuladen, sich an der Uni-Finanzierung zu beteiligen.

In der Schweiz, die ja sehr oft beispielhaft genannt wird, ist das anders.

Antonio Loprieno: Schweizer Unis haben eine differenziertere Form der Finanzierung. Es ist einfacher, die Autonomie, die ihnen das Gesetz gibt, tatsächlich zu leben, weil es verschiedene Stakeholder gibt, die auch einen finanziellen Anteil an der Universität haben. Dann kommt es auch viel leichter zu einer Form von internem Wettbewerb.

Ist das auch eine Bringschuld der Unis?

Loprieno: Ja. Von autonomen Unis wird erwartet, dass sie sich auch selber um eine Differenzierung ihrer Finanzierung bemühen. Es wäre unverantwortlich, wenn etwa meine Universität, die Universität Basel, nicht versuchen würde, mit der pharmazeutischen und chemischen Industrie in der Umgebung eine Form von – finanziell gestützter – Zusammenarbeit zu finden.

Hat man sich in Österreich bislang zu sehr auf der öffentlichen Finanzierung ausgeruht?

Sünkel: Von Ausruhen kann keine Rede sein. Die Unis sind immer vom Staat finanziert worden und so ist es nach wie vor großteils. Mit wenigen Ausnahmen, wo Universitäten von sich aus durch sinnvolle Kooperationen mit der einschlägigen Industrie selbst Mittel an Bord holen, wie etwa zwischen der TU Graz und der Fahrzeugindustrie. Das ist ein Gebot der Stunde.

Ein Problem, das auch die Schweiz betrifft, ist der Andrang deutscher Studierender. Die Schweizer Unis haben durch einen Numerus clausus quasi die Schotten dicht gemacht.

Loprieno: Ich glaube nicht, dass wir eine restriktive Politik haben. Für die Schweiz sind deutsche Studierende enorm wichtig. Wir möchten nur vermeiden, dass die weniger Qualifizierten zu uns kommen.

Sehen Sie diese Gefahr in Österreich?

Loprieno: Das kann ich schwer sagen. Aber wenn die Disproportion so groß ist, wäre die naheliegendste Antwort eine Lösung auf internationaler Ebene. Es kann einfach nicht sein, dass dem österreichischen System eine derart große Belastung zugemutet wird.

Sünkel: Der freie Austausch von Studierenden in Europa ist an sich etwas Wunderbares. Ich wäre auch absolut dafür, wenn die Studierendenströme von finanziellen Strömen begleitet werden.

Herr Loprieno, Sie haben einmal in der „Presse“ kritisiert, dass neun Unis in Wien zu viel seien. In den Empfehlungen für den Hochschulplan, an denen Sie mitgearbeitet haben, findet sich dies aber nicht. Warum nicht?

Loprieno: Einige Politiker betrachten Zusammenlegungen rein aus der Perspektive der Effizienz. Man sollte aber vorsichtig sein. Erstens muss eine universitäre Zusammenarbeit Bottom-up entstehen, sonst bleibt sie häufig nur auf dem Papier. Und zweitens sind Kooperationen nur dort wichtig und sogar nötig, wo sie für einen Wettbewerb sinnvoll sind.

Was würde das für Wien bedeuten?

Loprieno: Es kann sein, dass neun Universitäten in Wien auf dem Papier zu viel sind, aber eine einzige wäre eindeutig zu wenig.

Sünkel: Eine einzige Universität Wien mit 150.000 Studierenden wäre ein Albtraum.

Loprieno: Akademische Exzellenz braucht einen gesunden Wettbewerb. Ich kann Ihnen natürlich nicht sagen, in Wien sollten drei, vier oder fünf Universitäten sein. Die Frage ist: Finden wir immer den richtigen Kompromiss zwischen Vielfalt und Wettbewerb?

Ist da in Österreich noch viel zu tun?

Sünkel: Eine universitäre Landschaft bleibt immer eine Baustelle. Wenn die Baustellen nicht mehr vorhanden sind, ist die Universität tot. Daher meine ich, dass gerade diese dynamische Weiterentwicklung etwas Positives hat. Ich glaube aber an das freiwillige Kooperieren und nicht an Zwangsehen. Es wird auch zu überlegen sein, ob wir in Österreich ein so granuliertes Studienangebot brauchen oder ob man manche der 1000 Studien streichen kann. Das muss aber gut überlegt werden, um nicht durch Schnellschüsse unsere Bildungslandschaft mit Löchern auszustatten.

Mangelt es hierzulande nicht nur an Kooperation, sondern vor allem auch an Wettbewerb?

Sünkel: Es braucht sowohl Kooperation als auch Wettbewerb. Dann kann man international reüssieren. Loprieno: Das ist eine Aufgabe für die akademischen Systeme in Kontinentaleuropa überhaupt. Lange Zeit waren sie bloß virtuelle Konstrukte, bestehend aus relativ autonomen Fakultäten und Instituten, die in einer Welt ohne realen Wettbewerb agierten. Jetzt sind wir in einer anderen Situation, wo von der Institution, von der Universität als Marke etwas erwartet wird.

Zur Person

Antonio Loprieno (56) ist seit 2005 Rektor der Uni Basel und zurzeit Präsident der Schweizer Rektorenkonferenz. Er hat mit zwei weiteren internationalen Experten Empfeh- lungen für den österreichischen Hochschulplan erarbeitet, dessen Eckpunkte bis Jahresende stehen sollen.

Hans Sünkel (62) steht seit dem Jahr 2003 an der Spitze der Technischen Uni Graz, seit 2010 ist er auch Präsident der österrei- chischen Rektorenkonferenz. Beide Ämter gibt er mit Anfang Oktober ab. Den neuen Rektorenchef wählen die Rektoren am 10. Oktober. [Jenis]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.