Unis: „Sich der Ökonomisierung nicht klaglos anschmiegen“

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Der deutsche Philosoph Reinhard Brandt über opportune Wissenschaft, die Gefahren der Drittmittel, die Ersetzbarkeit der Universität – und die Frage, ob sie noch zu retten ist.

Die Presse: In Ihrem neuen Buch fragen Sie: „Wozu noch Universitäten?“ Wozu denn?

Reinhard Brandt: Dazu, eine kritische Begleitung der Wissensgesellschaft zu leisten. Das ist nur dann möglich, wenn sie eine selbstständige und nicht von irgendwelchen Interessen abhängige Wissenschaft macht. Das ist die Aufgabe der Universität, dazu muss sie vom Staat finanziert werden. In vielen Bereichen besteht durch Drittmittel heute allerdings die Gefahr einer Beeinflussung. Dagegen muss sich die Universität wehren – und dagegen muss der Staat sie schützen.

Dass Universitäten in Europa immer mehr zu unternehmerischen Unis werden – macht Ihnen das Sorgen?

Das ist eine gefährliche Entwicklung in unserer Zivilgesellschaft überhaupt. Es muss Widerstandslinien geben, die der Ökonomisierung Widerpart halten und sich dem nicht problemlos, klaglos und kritiklos anschmiegen – nicht wissend, was für Gefahren damit verbunden sind. Das geht bis zur Definition von bestimmten Krankheiten, die dem einen oder dem anderen Konzern in die Hände spielt.

Die Unis stehen finanziell immer mehr auf wackligen Beinen.

Niemand kann noch in großen Bereichen tätig sein, ohne Drittmittel zu holen. Das bedeutet auch, dass man die Forschung in eine Richtung lenken muss, die dem entgegenkommt. In Deutschland ist es derzeit etwa opportun, Interessen einzubringen, die etwas mit Religion zu tun haben: Religion ist in. Da muss ich als Aufklärer sagen: Das kann nicht gut sein. Käme ich mit meinen Interessen, wären die Geldhähne zu. Im blühenden Kapitalismus läuft das ähnlich, wie früher im Sozialismus: eine Metaregulierung von Wissenschaftstendenzen und Strömungen.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Wir können uns dem Trend nicht völlig entziehen. Man kann immer nur versuchen, auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Man kann etwas benennen und argumentativ einbringen – und damit zur Verteidigung zwingen.

Sie schreiben auch von der Ersetzbarkeit der Universitäten durch private Ausbildungsstätten oder Fernstudien.

Das ist mehr als Gedankenexperiment gedacht. Wenn man fragt: Leute, was spricht eigentlich dagegen, wenn wir alles privatisieren, wenn alle staatlichen Zahlungen an die Universität eingestellt werden? Oder wenn wir alles an einer Fernstuniversität anbieten, wenn wir in Brüssel eine gigantische Universaluniversität aufbauen? Da wird es mit Sicherheit einige Personen geben, die sagen: Nach unseren Argumenten spricht gar nichts dagegen. Derjenige, der für eine öffentliche Universität vor Ort plädiert, muss in dieser Auseinandersetzung gute Gründe haben. Und ich will dazu reizen, diese Gründe zu benennen.

Glauben Sie, dass die Universität, wie Sie sie sich wünschen, zu retten ist?

Ja. Es gibt sie ja zum Teil. Sie muss aber von den Universitäten selbst stärker in den Vordergrund gestellt werden. Es gibt so viele gute Leute, es gibt so viele gute Bücher, die aus den Universitäten kommen. An der Stelle bin ich überhaupt nicht betrübt, und das wird den Universitäten auch nicht in nächster Zeit aus der Hand geschlagen werden. Aber es gibt eine Gefahr.

Zur Person

Reinhard Brandt (74) war 30 Jahre lang Professor für Philosophie an der Universität Marburg. In diesem Jahr veröffentlichte er den Essay „Wozu noch Universitäten?“ (Felix Meiner Verlag). Am Freitag war Brandt zu Gast bei der „Friday lecture“ des „Center for Teaching and Learning“ der Uni Wien. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.