Vergangenheit mit Zukunft

Seniorin schreibt Tagebuch
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Biografiearbeit. Durch den Blick zurück einen Weg für Gegenwart und Zukunft zu finden, wird in der sozialen Arbeit und Altenbetreuung zu einer zunehmend genutzten Methode.

Persönliche Sicherheit zurückerobern, Selbstvertrauen stärken und dadurch schwierige Lebenssituationen besser bewältigen – Fähigkeiten wie diese sind für jeden nützlich. Wer mit Menschen arbeitet, muss dazu auf professioneller Ebene damit umgehen können.

Einen in Österreich relativ neuen Ansatz dazu bietet die Biografiearbeit. Das Konzept geht auf den amerikanischen Gerontologen und Pulitzer-Preisträger Robert Neil Butler zurück. Seiner Ansicht nach ist die Lebensrückschau ein Prozess, der sinnstiftend wirkt. Galt es davor als eher krankhaft, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, wurde nach Butlers Erkenntnissen das Erinnern zunehmend Teil der Altenarbeit und damit auch gefördert. „Biografiearbeit ist allerdings nicht nur für betagte Menschen wichtig, sondern für alle Altersgruppen“, sagt Renate Brüser, Leiterin des Lehrgangs „Biografiearbeit professionell einsetzen“. Adoptivkindern beispielsweise, die ihre Wurzeln suchen, gebe eine Begleitung unter diesem Aspekt Mut und Sicherheit. Der Lehrgang ist modulartig aufgebaut und dauert ein gutes halbes Jahr. „Beruflich anwenden kann man Biografiearbeit in der Arbeit mit jungen und alten Menschen, in der Behindertenbetreuung, bei Demenzkranken oder Frauen in den Wechseljahren“, erklärt Brüser.

Lebensgeschichte neu bewerten

Je älter die Gesellschaft wird, umso mehr Lebensgeschichte will bewältigt werden. Deshalb beschäftigen sich auch die Teilnehmer des Lehrganges „Erfüllte Zeit“ am Ausbildungsinstitut Salzburg mit Biografiearbeit. „Wichtig ist die individuelle und kollektive Neubewertung von Lebensgeschichten, mit dem Ziel, Ressourcen und Potenziale Einzelner und von Gruppen zu erschließen, Haltungen zu überprüfen und zukünftige Lebens- und Handlungsperspektiven zu entwickeln“, erklärt Direktorin Michaela Luckmann. Die viersemestrige Ausbildung zum diplomierten Erwachsenenbildner im Bereich „SeniorInnenbildung“ widmet sich intensiv jenen Prozessen, die Senioren ermutigen, durch den Blick in die Vergangenheit neue Perspektiven für die Zukunft im Alter zu entwickeln.

Biografie als Orientierung

In Zeiten der Selbstoptimierung, in der man vom Puls bis zum Protein im Essen alles überwachen kann, stößt der Mensch immer öfter an seine Grenzen. Auch da kann Biografiearbeit sinnvoll unterstützen. „Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, sind komplex. Sie verändern sich im Großen wie im Kleinen, allmählich oder mit rasanter Geschwindigkeit. Diese Bedingungen betreffen auch die Lebenswege der Individuen, die sich immer weniger an verbindlichen, stabilen Vorgaben und Vorbildern orientieren können“, erklärt Bettina Dausien.

Die Professorin für Pädagogik der Lebensalter an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien hat für das Bildungsinstitut für Erwachsenenbildung, Bifeb, den Lehrgang „Pädagogische Biografiearbeit“ entwickelt, der im Herbst erstmals startet. „Unbestreitbar ist meines Erachtens, dass viele Aspekte des eigenen Lebens mehr denn je zur biografischen Gestaltungsaufgabe jedes Einzelnen geworden sind. Den Individuen wird eine biografische Arbeit abgefordert, um ihr eigenes Leben zu gestalten und in einem sozialen Kontext als anerkannte Lebensgeschichte einbringen zu können“, erklärt Dausien. Der ebenfalls aus sechs Modulen bestehende Lehrgang dauert 13 Monate und wendet sich hauptsächlich an Erwachsenenbildner, Berater und Menschen in sozialen Betätigungsfeldern. „Die Arbeit mit biografischen Ansätzen stellt hohe Anforderungen an die Professionisten und auch an die Institutionen, die solche Arbeitsformen bereits nutzen oder entwickeln wollen. Es gibt hier einen großen Bedarf an Professionalisierung und beruflicher Weiterbildung, denn in den bisher bestehenden Ausbildungskontexten und den verschiedenen pädagogischen Studiengängen sind Ansätze der Biografiearbeit kaum verankert – und vor allem nicht wissenschaftlich fundiert.“

WEITERBILDUNG

Bundesinstitut für Erwachsenenbildung,

Informationsabend:

23. Juni von 17 bis 19 Uhr am IWK Institut für Wissenschaft und Kunst, Berggasse 17/1, 1090 Wien www.bifeb.at

Österreichisches Institut für Biografiearbeit,

Biografiearbeit zum Kennenlernen:

4. Oktober von 10 bis 17 Uhr, Praxis für Lebensberatung, Coaching und Supervision, Zeillergasse 19/6, 1170 Wien,

www.biografiearbeit.org

Ausbildungsinstitut Salzburg

Anmeldung bis 5. Juli 2014

Einführungs- und Entscheidungsseminar

3. Oktober 15 Uhr bis 4. Oktober 12.30 Uhr,

St. Virgil Salzburg, Ernst-Grein-Straße 14, 5026 Salzburg,

www.abi-salzburg.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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