„Krise der Autorität im Islam“

Thousands of Muslims attend the Friday prayer in the streets close to the congregration ground durin
Thousands of Muslims attend the Friday prayer in the streets close to the congregration ground durin(c) imago/Zakir Hossain Chowdhury (imago stock&people)
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Ernst Fürlinger, Leiter des Zentrums für Religion und Globalisierung an der Donau-Universität Krems, über Hintergründe und Umgang mit dem Islamismus.

Die Presse: Die Salafisten beziehen sich direkt auf den Islam der Frühzeit. Inwieweit wird dadurch der Grundstein für den heutigen Fundamentalismus gelegt?

Ernst Fürlinger: Die Fokussierung auf eine imaginäre, idealisierte Frühzeit der ersten Generationen der Muslime durch den Salafismus geht mit einer Abtrennung von der islamischen Tradition und der jahrhundertealten Auslegungstradition des Koran einher. Die Entwurzelung von der Kultur des Islam wird zum Einfallstor für Radikalisierung und den Fundamentalismus der „heiligen Einfalt“ (Olivier Roy), die aus der Vielstimmigkeit und Ambiguität des Koran ein geschlossenes, eindeutiges Rezept für ein muslimisches Leben im Alltag und ein politisch-ideologisches Manifest macht. Für viele ist das sicherlich eine Entlastung von den Ansprüchen, in einer komplexen pluralen Lebenswelt gläubig zu sein.

Ist nicht die eigentliche Wurzel des Problems das Fehlen einer allgemeingültigen, zeitgemäßen Interpretation des Koran?

Die islamische Welt befindet sich mitten in einer harten internen Auseinandersetzung über die Frage des Verständnisses und der Interpretation des Koran in der Moderne, bei der Ansätze einer neuen Koran-Hermeneutik, wie von Abu Zaid, Fazlur Rahman, Abdulkarim Soroush etc., gegenwärtig am Rand stehen und die Reformdenker durch islamistische Gruppen unter Druck kommen. Gleichzeitig handelt es sich um eine Krise der Autorität im Islam: Die muslimischen Gelehrten und Theologen weltweit, die dem IS rechtlich und theologisch die Legitimität absprechen, werden von den Jihadisten schlicht verachtet und ignoriert.


Wie kommt man als selbst nicht muslimischer Wissenschaftler damit zurecht, auch kritische Aussagen über den heutigen Islam machen zu müssen?

Der zeitgenössische radikale Salafismus und Jihadismus ist keine Sache, die allein Muslime betrifft, sondern wirkt sich auf ganze Gesellschaften aus – nicht zuletzt, weil diese Vorgänge die Beziehungen und das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen auch bei uns enorm belasten. Im Lehrgang geht es um Fragen, wie verhindert werden kann, dass junge Menschen unserer Gesellschaft in eine Radikalisierungsspirale geraten, ebenso um eine wissenschaftliche, kritische Auseinandersetzung mit Aspekten des Islamismus und Jihadismus. Die Kritik bezieht sich dabei nicht auf den Islam als Weltreligion, sondern auf totalitär orientierte, gewalttätige Bewegungen und Ideologien, die sich auf den Islam beziehen. Diese Unterscheidung ist in einem verschärften gesellschaftlichen Klima, wenn es um den Islam geht, besonders wichtig.

ZUR PERSON

Ernst Fürlinger, geb. 1962, studierte Katholische Fachtheologie an der Universität Salzburg sowie Religionswissenschaft an der Uni Wien, an der er sich auch für das Fach habilitierte. Er ist Leiter des Zentrums Religion und Globalisierung an der Donau-Universität Krems und Dozent an der Universität Wien. [ Donau-Universität Krems.]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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