Der Euro und Gold, eine Liebesgeschichte

Eine andere Perspektive auf unsere Währung. Der Euro gibt nicht vor "so gut wie Gold" zu sein - aber er ist immer "gut für Gold".

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Welt am Sonntag: Wie lange wird es den Euro geben?

Theo Waigel: Der Denar des Römischen Reichs hatte vier Jahrhunderte lang Geltung. So viel Zeit gebe ich dem Euro auch – dann kommt es zur Weltwährungsunion.

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Als ich zu Weihnachten 2011 diese Zeilen in einem bemerkenswerten Interview der "Welt am Sonntag" mit dem früheren deutschen Finanzminister Theo Waigel gelesen habe, ist mir die sprichwörtliche Spucke weggeblieben.

400 Jahre? Ist der Mann vollkommen durchgeknallt? Damals, im Jahr 2011 war die so genannte "Eurokrise" schon in vollem Schwung. Nicht nur das Internet, sondern auch die "seriösen" Zeitungen waren voll mit Untergangs-Szenarien. Griechenland war damals nur ein Problem von vielen. Es ging um die PIIGS, um Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien.

Europa stand am Abgrund - und Theo Waigel faselt was von 400 Jahren.

Ich konnte mir das nicht erklären. Ist Waigel größenwahnsinnig? Betreibt er zynische Propaganda für ein längst gescheitertes Projekt? Lügt er schlicht und einfach?

Es war ja nicht nur Waigel. Von allen Politikern und Zentralbankern die selbe Leier: Stirbt der Euro, dann stirbt Europa (Copyright Merkel). Der Euro, die "Friedenswährung" (das war Faymann). Schon 2009, als Nigel Farage eine seiner gefürchteten Reden zum Euro hielt und einen baldigen Crash vorhersagte ("It's all delusional stuff"), grinsten die Eurokraten in Brüssel nur.

Aber wissen Sie, was dann passiert ist?

Es ist nichts passiert. Kein Crash, kein Krieg, keine Hyperinflation.

"Fels in der Brandung"

Vier Jahre nach Waigels Interview und sechs Jahre nach Farages Rede steht der Euro noch. Sogar Griechenland ist noch dabei (auch wenn dieses Drama langsam langweilig wird). Mehr als das: Seit 2010, als die Griechenland-Krise losgegangen ist, ist die Eurozone von 15 auf 19 Länder angewachsen.

Und das alles in einer Phase, wo sich in den Medien und den Internet-Verschwörungsecken eine regelrechte Europhobie aufgebaut hat. Eine ganze Industrie ist rund um die Euroskepsis entstanden, unzählige Bücher wurden geschrieben, Seminare wurden gehalten, Panik wurde geschürt. Heute sind wir an einem Punkt angelangt, wo sich die Kollegen von Bloomberg gar nicht mehr erklären können, warum der Euro sich trotz allem hält wie ein "Fels in der Brandung".

"Wenn Sie heute einen Blick auf den Euro werfen, würden Sie nie erraten, dass seine ganze Existenz gefährdet ist", steht da. Wenn das mal Theo Waigel liest!

Es gibt nur eine Erklärung für das alles - und die ist für viele Europaniker nur schwer zu verkraften. Was, wenn die Politiker die Wahrheit sagen? Natürlich kann Theo Waigel nicht wissen, was in 400 Jahren ist. Aber wenn er wirklich derart felsenfest an den Euro glaubt, dass er sich zu so einer Aussage hinreißen lässt, muss es dafür nicht einen Grund geben?

Besser als der Goldstandard

Ich glaube, die Antwort inzwischen gefunden zu haben. Im Prinzip sollte es in diesem Blog immer nur darum gehen - aber diese Gedanken brauchen Zeit. Und viel Recherche. Verstehen Sie mich nicht falsch: es ist alles da. Das "Geheimnis" hinter dem Euro versteckt sich "in plain sight".

Die Zentralbanker des Eurosystems sind vollkommen transparent in dieser Frage. Sie reden ständig darüber! Aber man muss den Kontext kennen, man darf nichts besseres mit seiner Zeit zu tun haben, als sich in monetäre Theorie zu verbeißen - sonst bleibt einem das "Geheimnis" des Euro trotz allem verborgen.

Der ehemalige EZB-Präsident Wim Duisenberg hat es in einer Rede im Jahr 2002 ganz offen dargelegt.

"Was ist Geld? Wirtschaftswissenschaftler wissen, dass Geld durch die Funktionen definiert ist, die es erfüllt: als Tauschmittel, als Recheneinheit und als Wertaufbewahrungsmittel. Ebenso wichtig ist jedoch, dass Geld auch durch die Gemeinschaft definiert wird, für die es diese Funktionen erfüllt. Weil es ein wirtschaftliches Instrument für jeden seiner Benutzer ist, stellt es auch ein politisches und kulturelles Band zwischen ihnen allen dar. Betrachten wir folgende simple Tatsache: Wir sind jeden Tag bereit, Güter, Dienstleistungen und unsere Arbeit für etwas einzutauschen, das an sich keinen Wert hat. Dies tun wir nur, weil wir daran glauben, dass wir dieses Geld bei anderen wieder für mehr Güter oder Dienstleistungen eintauschen können. Diese Tatsache sagt viel darüber aus, welches Vertrauen wir in das Geld selbst setzen. Noch viel mehr sagt sie darüber aus, welches Vertrauen wir zueinander haben. Geld verkörpert also im Kern einen Gesellschaftsvertrag.

Doch wahrscheinlich repräsentiert keine andere Währung das gegenseitige Vertrauen, welches das Fundament einer Gemeinschaft ist, besser als der Euro. Er ist die erste Währung, die nicht nur ihre Bindung an Gold, sondern auch ihre Bindung an den Nationalstaat gelöst hat. Hinter ihm steht weder die Wertbeständigkeit des Metalls noch das Gewicht des Staats. Für den Euro gilt, was Sir Thomas More vor 500 Jahren über das Gold sagte: es sei für die Menschen gemacht und empfange seinen Wert durch sie."

Dr. Willem F. Duisenberg, Aachen, 9. Mai 2002

Geld, das "an sich keinen Wert" hat. Eine Währung, die "nicht nur ihre Bindung an Gold, sondern auch ihre Bindung an den Nationalstaat gelöst hat".

Das muss man erst mal verkraften!

Man kann diese zwei Absätze hundert mal lesen und sie immer noch falsch verstehen - so wie die Aussagen von Waigel, Merkel und Faymann. Dabei verrät Duisenberg ganz offen, worum es geht.

Der Euro, die "Friedenswährung", hat nämlich zwei uralte Probleme jedes "Geldsystems" gelöst. Und zwar indem er sich gelöst hat - vom Staat und vom Gold. 

So, jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem Sie mich wahrscheinlich gemeinsam mit Waigel, Merkel, Faymann und Duisenberg für verrückt erklären. Vor allem, wenn Sie zu den goldaffinen Lesern gehören, die sich eine "Rückkehr zum Goldstandard" wünschen.

Aber warum, frage ich Sie? Freilich, ich kann Ihre Frustration verstehen. Die Geschichte pendelt ständig zwischen Weichgeld- und Hartgeld-Systemen hin und her. Und derzeit, am dicken Ende der "Dollar-Experience", drehen die Weichgeld-Enthusiasten komplett durch. Da will man als Hartgeld-Fan eingreifen.

Aber genau das ist das Problem. Denn jedes Hartgeldsystem startet mit den besten Absichten. Geld wird an Gold "gebunden". Und dann geht es los. Dann wird gedruckt. Zuerst ein bisschen. Dann ein bisschen mehr. Dann viel mehr und dann irgendwann zu viel. Viel zu viel.

Das passiert ohne Ausnahme, fast so, als würde es in der menschlichen Natur liegen. Zu süß scheinen die Verlockungen des weichen Geldes. Also inflationieren wir unsere Währungen. Und wenn das Vertrauen in unser Papier sinkt, finanzieren wir auch noch den Staat direkt aus der Notenpresse - was das Schicksal der Währung besiegelt. 

Die EZB kann keine Jobs herbeidrucken

Ein Goldstandard kann das nicht verhindern. Irgendwann, wenn besondere Deppen an der Macht sind, sammelt der Staat dann einfach auch das Gold seiner Bürger ein, nur um die Illusion einer fixen "Goldbindung" der Währung ein bisschen länger aufrecht zu erhalten. Ja, liebe Freunde des Goldstandards - so ist das leider: Der Goldstandard selbst bedingt irgendwann ein Goldverbot - damit die "gedeckte" Papierwährung ein paar Jahre länger leben kann. Let that sink in.

Gleichzeitig verschleiert die Goldbindung den tatsächlichen Zustand der Währung, weil ein "freier" Goldpreis nicht erlaubt wird. In der Bilanz der Federal Reserve wird Gold noch immer mit 42 Dollar pro Unze bewertet. Wobei nach 45 Jahren inzwischen klar sein dürfte, dass diese Bewertung der Realität nicht mehr ganz entspricht.

Aber der Euro hatte nie eine Bindung an Gold und auch nicht an den Nationalstaat. Die EZB weiß, dass sie keine Jobs herbeidrucken kann. Sie weiß, dass sie außer "Preisstabilität" nicht viel zu bieten hat. Also konzentriert sie sich auf diese Aufgabe und überlässt den Rest dem Markt und den Regierungen.

Die haben es jetzt ganz schön schwer, denn die disziplinierende Funktion des Goldstandards emuliert der Euro ziemlich gut - aber ohne die Nachteile des Goldstandards. Die Politiker haben ihr zerstörerisches Privileg des Gelddruckens für den Euro aufgegeben. Und die EZB hat Gold befreit, damit es seine historische Rolle wieder spielen kann.

Und das ist nicht die Rolle einer Währung. Dafür ist Gold viel zu kostbar!

Schaut euch doch mal um, liebe Goldbugs. Ihr beschwert euch über den Euro und überseht, was er euch gegeben hat. Ihr wollt das Gold zurück? Es ist doch längst da! Nehmt Österreich als Beispiel, immerhin bildet Wien das "goldene Herz" der Eurozone. Praktisch an jeder Straßenecke könnt ihr Philharmoniker kaufen, oder wunderschöne Nachprägungen der Kronen und Dukaten aus der Kaiserzeit. Ihr könnt auch Eagle und Krugerrand kaufen oder Nuggets oder Maple Leaves. Die älteren unter euch frage ich: war das in den 80er-Jahren so leicht möglich? Ich glaube nicht.

Gold als Reserve

Und wer ermöglicht das alles? Die böse EU. Hier steht es schwarz auf weiß:

Um die Verwendung von Gold als Finanzinstrument zu fördern, sieht diese Richtlinie eine Steuerbefreiung für Anlagegold vor. Zuvor galt auch für Anlagegold die normale Steuerregelung. Im Rahmen dieser Regelung unterlagen Anlagegoldlieferungen grundsätzlich der MwSt., aber bestimmte Mitgliedstaaten waren nach einer Übergangsregelung ermächtigt, diese Lieferungen von der Steuer zu befreien. Die neue Richtlinie beseitigt diese Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten und stärkt gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit des Goldmarkts der Gemeinschaft.

Richtlinie 98/80/EG des Rates zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, Sonderregelung für Gold

Wann diese Regelung eingeführt wurde? 1998 - ein Jahr vor dem Start des Euro. Ob da ein Zusammenhang besteht? Ich traue mich darauf zu wetten.

Sehen Sie, dass der Euro die erste vom Gold und dem Nationalstaat gelöste Währung ist, bedeutet keinesfalls, dass die Macher des Euro die Bedeutung des Goldes nicht verstanden haben. Ganz im Gegenteil. Gold spielt im Eurosystem eine entscheidende Rolle. Es spielt seine eigentliche, seine historische Rolle. Als Reserve.

Zur Beruhigung, liebe Goldbugs: Die Werft-das-Zeug-ins-Meer-Fraktion liegt noch viel weiter daneben. Ihr habt auf das richtige Asset gesetzt - wenn auch aus den falschen Gründen. Soll ja nichts schlimmeres passieren.

Die Zentralbanken der Eurozone halten gemeinsam rund 10.000 Tonnen Gold. Mehr als irgendein anderer Währungsblock auf der Welt. Pi mal Daumen ist das rund eine Unze Gold pro Europäer in der Eurozone. Dieses Gold gibt dem Euro die Stabilität, über die sich Bloomberg so wundert. 

Der Euro und Gold sind Freunde

Statt so zu tun, als würde man eine Währung auf Basis der Goldreserven managen, geht die EZB einen anderen Weg. Sie hat eine Aufgabe: Preisstabilität, was sie in der Praxis als "milde Inflation" von zwei Prozent definiert. 

Im "konsolidierten Finanzstatement" der Eurozone, der "EZB-Bilanz", wird die Bewertung der Goldreserven vier mal pro Jahr an den Marktpreis angepasst. Das klingt unspektakulär, ist aber der entscheidende Punkt. Statt Gold als "Währung" zu missbrauchen und seinen Wert gegenüber dem Euro bei einem beliebigen Wert festzulegen, was einem rigiden System gleichkommt, stehen sich der Euro und Gold in einem flexiblen System gegenüber.

In diesem System kann sich die EZB auf das Management des Euros konzentrieren. Dafür kann sie Gold kaufen oder Gold verkaufen - und das wird sie eines Tages auch tun, wenn sie es für notwendig hält. Aber sie muss nicht den Goldmarkt unter rigider Kontrolle halten, wie das in der Vergangenheit geschehen ist. Haben Sie mal einen Blick darauf geworfen, wann der letzte Gold-Bullenmarkt genau begonnen hat?

In Europa wird durch einen offenen und transparenten physischen Goldmarkt sicher gestellt, dass Gold in Euro gehandelt wird und die Währung so ständig getestet wird. Das hilft der Glaubwürdigkeit des Euro. Die großen Goldkäufer, die (Öl)Staaten und Superreichen, interessiert der Preis von Gold kaum. Was sie aber sehr wohl interessiert, ist der "Flow". Sie wollen um ihre Euros Gold kaufen können - egal zu welchem Preis. Ist das nicht mehr möglich, ist die Währung für sie wertlos. Die kleinen Goldkäufer (Sparer) sehen das ähnlich. Der Euro gibt nicht vor "so gut wie Gold" zu sein - aber er ist immer "gut für Gold". 

Sehen Sie, der Euro ist nicht primär als "Wertspeicher", als "Store of Value" konzipiert. Der Euro versucht erst gar nicht, etwas zu sein, was er nicht sein kann. Daran sind schon so viele Währungen gescheitert. Aber die Aufgabe des Wertspeichers erfüllen die "realen Werte" Kunst, Immobilien und natürlich Gold viel besser.

Die EZB signalisiert dies laut und klar durch ihre Behandlung der Goldreserven. Gold steht nicht ohne Grund an erster Stelle in der EZB-Bilanz. Nicht ohne Grund haben die Euro-Zentralbanken 1999 das CBGA (Central Bank Gold Agreement) unterschrieben (und seither dreimal erneuert), das festhält: "Gold remains an important element of global monetary reserves". Und nicht ohne Grund erwähnt Alan Greenspan dieses Agreement in letzter Zeit ständig.

Der Euro und Gold sind Freunde, sie ergänzen sich statt sich zu bekämpfen.

Das Ding läuft bei uns

Und weil der Euro (anders als der Dollar, der Rubel oder der Yuan) auch keine Bindung zum Nationalstaat mehr hat, schlägt auch Triffins Dilemma nicht zu. Der Euro ist im wahrsten Sinne des Wortes ein "internationales" Geld. Er ist die Antwort, nach der heute plötzlich so viele suchen. Er ist das "neue Geldsystem", das heute überall verlangt wird. Konzipiert von Menschen, die die aktuelle Krise des Dollarssystems schon vor 40 Jahren haben kommen sehen.

Freilich befinden wir uns noch in der Übergangsphase. Der Weg vom unipolaren Dollar-zentrischen System in ein multipolares System ist holprig. Aber er ist eingeschlagen - und wir sind schon ein weites Stück gegangen.

Das alles nur zur Erklärung, warum es mir die Zeit wert war, Jean-Claude Trichet bei seinem gestrigen Wien-Besuch nach seiner Bewertung der "Währung Euro" zu fragen. Trichet ist soweit zufrieden. Und bei aller berechtigter Kritik an Zentralbanken, Büro- und Eurokraten - das Euro-Ding läuft bei uns!

So, und jetzt schick ich eine Interview-Anfrage an Theo Waigel. :)

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