Warum ich nicht zwei Stunden länger in der Klasse stehen will

Auch wenn ich meinen Beruf liebe, heißt das nicht, dass ich zwei Stunden länger in der Klasse stehen will. Es verhält sich nämlich so: Weil ich meinen Beruf liebe, will ich das nicht. Erklärung gefällig?

Es war ja klar: Als ich in meinem letzten Blogeintrag darüber geschrieben habe, wie toll ich den Beruf des Lehrers fände, kam als prompte Antwort darauf die Frage, warum ich und die 125.000 Lehrer im Land diesen tollen Job dann nicht wöchentlich zwei Stunden länger ausführen wollten.

Die Frage war aufgelegt, jedoch nicht richtig platziert, denn sie hatte mit dem Inhalt meines Eintrags wenig zu schaffen: Während ich dort nämlich über die Schönheit des Berufs des Lehrers schrieb, bezog sich die Frage auf den Job eines – in diesem Fall österreichischen – Lehrers. Und zwischen diesen beiden Realitäten herrscht in unseren Breitengraden leider eine breite Kluft, die immer wieder zu schweren Grabenkämpfen einlädt, wie in der eben erst geführten Debatte um die Lehrerarbeitszeiten gut zu sehen war. Wenn ich also den Beruf des Lehrers geadelt habe, habe ich die Jobbedingungen in Österreich noch lange nicht nobilitiert. Und zwar aus gutem Grund, denn wie sich im Weiteren zeigen lässt, brächte eine Verlängerung der Unterrichtszeit vielen etwas, nur halt nicht den Schülern.

Was sind schon zwei Stunden?

Ich stelle mir vor, dass ich ab 2020 (oder so) tatsächlich zwei Stunden länger in der Klasse „stehe“. Das hieße dann jedoch, dass entweder einige Junglehrer wieder ihren Hut nehmen müssten oder dass die Schüler auch zwei Stunden länger da sind. Außerdem würde wohl die Qualität des Unterrichts abfallen, da Lehrern weniger Zeit zur Vor- und Nachbereitung bliebe und der Lehrer sich zusätzlich um bis zu 30 neue Kinder sorgen müsste. Und das wäre erst der Anfang.

Keine Junglehrer mehr. Würde der einzelne Lehrer zwei Stunden mehr arbeiten, bräuchte man unter dem Strich weniger Lehrkräfte. Das würde natürlich der budgetierenden Ministerin ein Lächeln auf die Lippen zaubern, dem Nachwuchspädagogen – vorausgesetzt, dass es diesen dann überhaupt noch gibt – friere seines ob der geringen Jobaussichten jedoch ein. Und übrig bliebe ein noch frustrierterer Stock an altgedienten Lehrern, für den der Kopierer die letzte ernstzunehmende Revolution in der Bildungslandschaft war und der unter dem Kategorischen Imperativ Dienst nach Vorschrift versteht. Dem Problem könnte man jedoch entgehen, indem man einfach die Gesamtstundenzahl der Schüler anhebt.

Nachmittags in der Schule. Verbrächten Kinder mehr Zeit in der Schule, hätten zwar berufstätige Eltern und die Wirtschaft ihre Freude, den meisten Kindern stieße das jedoch wohl bitter auf. Die verbringen ihre Nachmittage nämlich lieber mit Freunden, Hobbies und dem echten Leben anstatt mit Thales von Milet, Ludwig van Beethoven und Johann Wolfgang von Goethe. Eine wirkliche Wahl hätten Eltern außerdem nicht, die gerne Teil der Bildungsarbeit ihrer Kinder wären, ganz zu schweigen von den logistischen Schwierigkeiten in der Schule: Was soll in den zwei Unterrichtsstunden passieren? Mehr Mathe? Oder Turnen? Muss ein Deutschlehrer dann auch im Turnsaal stehen? Und was soll das dem Lernen bringen? Schließlich entscheidet nicht die Quantität sondern die Qualität des Unterrichts über den Lernerfolg. Und damit wären wir beim nächsten Punkt:

Mehr bedeutet weniger. Bei engagierten Lehrern (die ohnedies locker auf ihre 40 bis 50-Stunden-Woche kommen) hieße eine Steigerung der Unterrichtstätigkeit um zwei Stunden ein Plus an bis zu sechs Arbeitsstunden in der Woche. Diese sechs Stunden gingen also bei Unterrichtsplanung und –nachbereitung der ursprünglichen Stunden, bei Korrekturarbeiten, bei Schüler-, Eltern- und Lehrergesprächen etc. ab.  Unter dem Strich hieße das, dass der Lehrer zwar mehr in der Klasse steht, jedoch die Arbeit, der er dort nachgeht, qualitativ nicht so hochwertig ist wie zuvor und davon hat niemand wirklich etwas. Das führt schließlich auch zu meinem nächsten Argument:

30 sind schon ein ganzer Haufen. Zu den erwähnten sechs Arbeitsstunden käme dazu, dass ein Lehrer eine zusätzliche Klasse übernehmen müsste. Er müsste also 30 neue Lebensgeschichten lesen, verstehen und wertschätzen. Er müsste 30 neue Talente finden, fördern und pflegen. Er müsste 30 neue Lernsituationen analysieren, bewerten und beliefern. Das würde an einem Lehrer, dem der Erfolg seiner Schüler egal ist, natürlich ohne weiteres abprallen. Doch für die meisten Lehrer wäre das eine ernstzunehmende Mehrbelastung, die wohl zu einer noch alarmierenderen Zahl an Burn-Outs und Frühpensionen führen könnte. In jedem Fall aber würde sie letztlich auf die Schüler zurückfallen.

Es bleibt nicht dabei. Zwei Stunden sind also nicht gleich zwei Stunden, das wurde bereits gezeigt. Dass es in Zukunft nicht bei den zwei Mehrstunden bleiben wird, zeigt nicht zuletzt das neue Lehrerdienstrecht, das 24 zu haltende Wochenstunden vorsieht (22 Unterrichtsstunden und 2 Verwaltungsstunden), egal welches Fach man unterrichtet (das ist je nachdem eine Steigerung von bis zu 28%). Bei einem Sprachenlehrer wären das dann, mit oben gerechnetem Zeitaufwand, 12+2 Stunden mehr pro Woche, also eine 68- statt einer 54-Stundenwoche. (Wenn man das auf Schulstunden umrechnet, also mit 50 statt 60 Minuten kalkuliert, kommt immer noch eine 54-Stunden-Woche dabei heraus) Natürlich geht das nicht. Die Lösung für den Lehrer: Dort kürzen, wo eine Kürzung schwerwiegende Folgen hätte – in der Qualitätssicherung des Unterrichts und beim individualisierenden Unterricht (detaillierte Korrekturarbeiten, persönliches Feedback, differenzierter Unterricht etc.).

Die falschen Sieger

Stünden wir zwei Stunden länger in der Klasse gäbe es einige Gewinner: das Budget des Bildungsministeriums, die Unterrichtsministerin selbst, berufstätige Eltern, die Wirtschaft, die Befürworter der Ganztagsschule und alle, die der Meinung sind, dass Lehrer zu wenig arbeiten. Traurig oder eher bedenklich finde ich nur, dass die Lehrer und vor allem die Schüler nicht auf dieser Liste zu finden sind.

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