Der letzte Schrei des Habichts - Ein Rätsel

Lassen Sie sich in das Leben des Bauern Josef entführen, der einer falschen Hoffnung aufläuft. Die Geschichte ist eine Allegorie. Erkennen Sie wofür? Kommentare erlaubt.

„Zefix!“ Mit einer resignativen Bewegung stößt er das Glas um, richtet sich schwerfällig auf und verzieht dabei schmerzerfüllt sein Gesicht – würde er sein Kreuz beim Aufstehen stützen, wäre es einfacher für ihn, hat ihm sein Arzt bei der letzten Visite mitgeteilt. „Zefix!“ faucht er das weiße Rinnsal an, das sich seinen Weg über das schwere Buchenholz bahnt, und stößt dabei seinen Kopf am keramischen Lampenschirm an; seit dem Ableben seiner Frau hatte diesen keiner mehr angerührt.

Eine Wolke aus leblosem Staub bäumt sich kurz auf, um in der Hoffnungslosigkeit der säuerlich vegetierenden Küche wieder zu ersticken. Schwere Regentropfen tapezieren die holzgerahmten Fenster mit Stumpfheit und das militante Ticken der Küchenuhr über der Tür gleicht eher dem Damoklesschwert als einem Mistelzweig.

Dabei hat alles so vielversprechend ausgesehen. Es war ein benachbarter Bauer, der ihn auf die Idee gebracht hatte. Ohne würde es heute ja schon gar nicht mehr gehen. Man stelle sich die Arbeitserleichterung vor! Die meisten hätten schon umgestellt. Nur so bliebe man wettbewerbsfähig. Und die Milch würde außerdem besser schmecken, war der Nachbar begeistert.

„Zefix!“ flucht er noch einmal, als er das Glas aufhebt und die Milch von einem Küchentuch aufsaugen lässt. Selten erst war sie ihm über den Weg gelaufen, doch nun ist sie wieder da: Die Angst, die ihm langsam die Hosenbeine hinaufgekrochen kam. Jene Bedrückung, welche die Bauchdecke von innen zum Glühen bringt und den Magen zu einer Faust verkrampft. Die Gewissheit, dass er einen schweren Fehler begangen hat, an dessen Folgen sich zeigen wird, ob er noch einmal die Kraft hat, aufzustehen. Weiterzugehen.

Er hatte ja keine Ahnung was ein Relieser und ein Pulsator waren. Noch nie zuvor hatte er sich überlegt, wo in seinem Stall ein Spülautomat oder ein gekühlter Tank unterzubringen wären. Und dann musste alles sehr schnell gehen. Ein Angebot wie dieses käme so schnell nicht wieder. Eine Fullwood Merlin! Die Bank lieh ihm widerwillig Geld. Er nahm obendrein in Kauf, dass sein Stall umgebaut werden musste. Zwei Kühe fielen dem zum Opfer und lachten kurz später als Selchwürste aus der Glasvitrine der Huberbäuerin am samstäglichen Markt.

Er trägt sein Milchglas zur Kredenz, in welcher der Zirbenschnaps bereits auf ihn gewartet hat. Seit das Mariandl begraben ist, muss dieser seinem Freund immer öfter den Kopf zurechtrücken. Das Glucksen des orange-braunen Geistes flüstert den Bronchien halbleere Versprechungen zu und erfüllt den Raum für einen Augenblick mit dem Duft eines frühlingsfeuchten Jungwaldes: Moos, nasser Stein, Birkenrinde. Ein Specht. Fuchsbauten. Weit oben schreit ein Habicht.

Der Umbau war erst kürzlich abgeschlossen worden. Metallkessel, Silikonschläuche und elektronische Gerätschaften verunstalten nun die einst so vertrauten Kalkwände. Die vollautomatisch zentral gesteuerten Melkbecher schmatzen allmorgendlich in salomonischem Stampfen und während in einem Kessel gekühlt wird, wird im anderen gespült. Apokalyptisch.

Und leicht ist gar nichts. Ganz im Gegenteil. Bedienen Sie einmal so eine Maschine! Und was für ein Wettbewerb? War Josef je etwas daran gelegen sich zu messen? Mit wem und wozu sollte er? Und dass die Milch nicht besser schmeckt, war wohl die größte Enttäuschung. So ein ausgemachter Blödsinn! Warum sollte sich die Milch auch verbessern, wenn ich anders melke? Wann wären Sie stutzig geworden? Wann hätten Sie das Projekt abgeblasen? Josef tat beides nicht und jetzt ist nichts mehr daran zu ändern. Er hat sich selbst den Teppich unter den Füßen weggezogen.

Er schleudert sein Glas Richtung Hergottswinkel, wo es neben der eingerahmten Parte von Mariandl mit einem dumpfen Knall zerspringt und sich über die Sitzecke verstreut. Es pfeift in seinem linken Ohr, er vergräbt das glühende Gesicht in seinen rauen Händen, fällt am Tisch in sich zusammen und beginnt stockend zu schluchzen. Den Regentropfen an den Fenstern gleich suchen sich die Tränen ihren Weg durch die Furchen seiner gegerbten Haut. Genauso wie neulich am Friedhof, als er sich noch ein letztes Mal vergewissern wollte, dass unter Mariandls Name eh noch Platz für seinen wäre.

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