Aufschieberitis – Der Aufstieg einer Volksseuche zu einem hippen Erfolgsgarant

„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ ist Schnee von gestern. Denn, auch wenn der frühe Vogel den Wurm fängt, weiß man heute: Der frühe Wurm wird vom Vogel gefressen.

Wie viele Generationen von Lehrern haben es schon vor mir getan und wie viele werden es nach mir tun? Nämlich predigen, dass man seine Arbeit nicht erst in der letzten Nacht vor dem Abgabetermin erledigen beziehungsweise fertigstellen solle.

Doch der Autor und Professor Adam Grant verpackt in seinem aktuellen Buch „Originals. How Non-Conformists Move the World“ eine alte Idee in neue Kleider. Er weist nämlich darauf hin, dass Aufschieberitis nicht immer ganz so negativ ist, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen könnte.

Denn, wer die Bewältigung eines Problems hinausschiebt kann sich länger mit unterschiedlichen Lösungsansätzen auseinandersetzen und läuft nicht Gefahr, sich in die erstbeste Strategie zu versteifen. Hinausschieben entpuppt sich zudem als sehr fruchtbar, wenn man kreativ sein muss. Aber auch wissenschaftlich lässt es sich mit Aufschieberitis besser arbeiten: Ideen brauchen Zeit zum Reifen, und das Hinausschieben ist eine Möglichkeit, dem Impuls, sofort eine Antwort geben zu wollen, zu widerstehen. Daneben hat eine nichtabgeschlossene Arbeit einen entscheidenden Vorteil gegenüber einer erledigten: Sie bleibt aktiv im Gedächtnis und macht offen für Improvisation.

Hinausschieben heißt aber nicht nicht planen

Natürlich darf man jetzt den Mangel an Planung, Organisation und Selbstdisziplin (eine alte Idee...) nicht als hippen Erfolgsgaranten (...in neuen Kleidern) predigen und dem schulischen Nachwuchs damit Tür und Tor zu einer nachlässigen Arbeitshaltung aufschlagen.

Denn das Hinausschieben, von dem Grant spricht, ist ein anderes: „Großartige Originale sind großartige Hinausschieber, aber sie werfen das Planen nicht generell über Bord. Sie schieben strategisch hinaus und entwickeln Ideen Schritt für Schritt, indem sie unterschiedliche Möglichkeiten ausprobieren und verbessern.“*

Vielleicht hätte ich diesen Eintrag auch erst nächste Woche fertigstellen sollen...

*Grant, Adam M. Originals How Non-conformists Move the World. New York: Viking, 2016. Seite 102.
[eigene Übersetzung]

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