2017 oder die Divina Commedia

Auch wenn das Schuljahr schon etwas abgenützt ist, eignet sich ein Jahreswechsel durchaus dazu, ein paar pädagogische Vorsätze für das neue Kalenderjahr zu fassen. Hier sind meine:

1. Ich will alle meine Schüler gleich behandeln

Denn nur wenn der blinde Marco und die sportliche Jessica, die depressive Christina und der programmierende Philipp, der aggressive Peter und die singende Claudia genau das gleiche Programm machen und eben auch über den gleichen Kamm geschoren werden, haben sie die Möglichkeiten, sich bestmöglich zu entfalten und ihre individuellen Fähigkeiten früh zu versilbern. Nur dann haben sie alle eine gerechte Chance in ihrem Leben.

2. Ich will mehr Hausübungen geben

Denn eines ist klar: Solange es die Ganztagsschule nicht gibt, müssen wir Lehrer anderwärtig dafür sorgen, dass die Kinder der Nation am Nachmittag beschäftigt sind und die Zeit, in der sie elternlos sind, sinnvoll überbrücken können. Sie können schließlich nicht den ganzen Nachmittag Minecraft spielen oder YouTube-Videos anschauen. Obwohl...

3. Ich will meine Schüler hauptsächlich am Bildschirm arbeiten lassen

Auch unser kerniger Bundeskanzler hat endlich eingesehen, dass jeder Schüler einen gratis Laptop bekommen muss. Handschrift, Bücher, Sport, Konzertbesuche und Treffen mit Freunden sind nämlich so was von 97 und was ist das bitte für "1 boring Life" außerhalb des Internets? Das ist der Lauf der Dinge. Außerdem freut sich die Computerindustrie.

4. Ich will keine Inhalte mehr vermitteln

Mit dem Internet in der Tasche ist es ja wirklich unnötig, irgendetwas zu wissen. Deshalb konzentrieren wir uns auf das Können: Lernprozess planen und Ergebnisse präsentieren. Methoden anwenden und Regeln aufstellen. Vertrauen haben und Entspannungstechniken anwenden. Verstehen, analysieren, interpretieren, verbinden und reflektieren ist dran. Wer braucht dafür schon Wissen?

5. Ich will keine Noten geben

Stattdessen kopiere ich nun vorgefertigte Phrasen wie „Paulchen verfügt über ein äußerst umfassendes und hervorragendes Fachwissen“ (obwohl wir doch gesehen haben, dass Wissen redundant geworden ist) in die Zeugnisse meiner Schüler und hoffe, dass niemand bemerkt, dass bei Ferdinand und Celine das Gleiche steht, beziehungsweise dass niemand es liest – was gar nicht so unwahrscheinlich ist.

6. Ich will auf Religion, Kunst, Musik und Sport verzichten

Keine der genannten Disziplinen wird bei PISA getestet beziehungsweise bringt der Wirtschaft oder der Politik viel. Wozu also nicht auf sie verzichten? Religion ist der Grund für viele Kriege, Kunst für viele Skandale, Musik für viel Kopfweh und Sport für viele Verletzungen. Also weg damit.

Schließen möchte ich meine hochwertige Zukunftsmusik mit einem Zitat aus Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“

Obwohl meine Vorsätze keine guten sind, befürchte ich trotzdem, dass sie mich beziehungsweise meine Schüler in die Hölle führen würden. Also lass ich das lieber...

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