Was „Jessica Jones“ besser macht als „Daredevil“

Die fantastische Krysten Ritter spielt Jessica Jones
Die fantastische Krysten Ritter spielt Jessica Jones(c) Myles Aronowitz/Netflix
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Netflix setzt auf Marvels Superhelden: Nach „Daredevil“ und „Jessica Jones“ startet im September „Luke Cage“. Aber nicht alle Serien haben die gleiche emotionale Tiefe. Gerade Staffel zwei von „Daredevil“ enttäuschte.

Sie können einen schon anzipfen, die Superhelden, die derzeit das Kino beherrschen und auch im Fernsehen im Vormarsch sind. Vor allem der Streamingdienst Netflix setzt auf die Figuren aus dem Comicbuchverlag und Filmstudio Marvel. Nach dem Erfolg mit „Daredevil“ legte der Online-Riese bereits mit „Jessica Jones“ nach. Heuer am 30. September folgt „Luke Cage“, im kommenden Jahr dann „Iron Fist“. Und schließlich sollen die vier Superhelden – samt Anhang – in „Marvel's The Defenders“ vereinigt werden.

Über „Luke Cage“ (gespielt von Mike Colter) und „Iron Fist“ (übrigens mit Finn Jones aus „Game of Thrones“) kann ich noch nicht urteilen. Die anderen beiden Serien habe ich gesehen, von „Daredevil“ sogar beide Staffeln. Das lässt mich bezüglich künftiger Serien etwas skeptisch werden, denn ich fand die Qualität der Serien recht unterschiedlich.

Von „Daredevil“ (Staffel eins kam im Frühling 2015, Staffel zwei heuer) war ich anfangs begeistert – und ich bin nach wie vor der Meinung, die erste Staffel ist richtig gut. Nicht nur in den Actionsequenzen. Wobei diese Szene aus Folge zwei, in der sich Matt durch einen Gang kämpft und die dem stilbildenden Action-Meisterwerk „The Raid“ nachgeahmt ist, wirklich brillant choreografiert war.

Foggy und Matt
Foggy und Matt(c) Patrick Harbron/Netflix

Ich mochte auch die Figuren: Matt Murdoch (der charmante Charlie Cox) alias „Daredevil“ ist ein Zweifler mit Wut im Bauch. Er ist blind und gilt damit als Marvels verletzlichster Superheld. Das merkt man in Staffel eins. Ständig blutetet er irgendwo, hat blaue Flecken und Wunden. Sein bester Freund ist Foggy Nelson (Elden Henson), ein junger Anwalt, der mehr drauf hat, als er sich selbst zutraut. Zum Trio gehört auch Karen Page (Deborah Ann Woll, die ich in „True Blood“ sehr mochte), Sekretärin mit einem dunklen Geheimnis. Sie wird von den beiden erst aus der Bredouille gerettet und revanchiert sich später, indem sie die Organisation der frisch eröffnete Anwaltskanzlei Nelson & Murdoch übernimmt. Ganz besonders habe ich aber die resolute Krankenschwester Claire Temple (gespielt von der wunderbaren Rosario Dawson) ins Herz geschlossen, leider nur eine Nebenfigur.

Eine Superhelden-Geschichte steht und fällt freilich mit dem Bösewicht: Wilson Fisk (von Vincent D'Onofrio genial verkörpert) war ein ebenbürtiger Gegner von Daredevil in Staffel eins, weil die beiden der enge Bezug zu ihrem Viertel verbindet, sie aber völlig unterschiedlicher Auffassung darüber sind, wie weit man gehen darf, um das Leben für dessen Einwohner zu verbessern.

Gerechtigkeit oder Mord?

Leider kommt Staffel zwei nicht an diese starke erste Staffel heran. Dabei kommen mit Frank Castle/Punisher (Jon Bernthal) und Elektra (Elodie Yung) zwei neue spannende Figuren dazu. Der Punisher ist faszinierend, denn er wirft ethische Fragen auf: Ist es gerechtfertigt, Verbrecher zu töten? Ist das Gerechtigkeit oder Mord? Der tatsächliche Gegenspieler ist aber die Mafiaorganisation Jakuza - und die fand ich zäh, trotz Mystery-Elementen. Und Fisk, der in Staffel eins so faszinierte, weil er so brutal und zärtlich zugleich sein konnte, wird in einem Kurzauftritt „verheizt“.

Jon Bernthal brilliert als Punisher
Jon Bernthal brilliert als Punisher(c) Patrick Harbron/Netflix

Vor allem aber fand ich das Gleichgewicht außer Kontrolle. Die zweite Staffel konnte diesem Hadern mit der eigenen Berufung, die bei Matt auch mit einer gewissen Lust an der Gewalt einhergeht, keine neuen Facetten abgewinnen. 

Eine halbgare Romanze

Ständig wird Matt angejammert, dass er aufhören soll, Daredevil zu sein. Ständig hat er ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, katholisch und so. Aber das nervt auf Dauer. Die Romanze mit Karen war halbgar – mit Ausnahme der schönen Kussszene im Regen. Aber selbst die ist nicht originell – ähnliche haben wir in „Spider-Man“ und im misslungenen „Daredevil“-Film (mit Ben Affleck und Jennifer Garner) gesehen.

Im Film küsste Matt (Ben Affleck) nicht Karen, sein „love interest“ aus dem Comics, im Regen, sondern Elektra (Jennifer Garner). Auch die Serie setzt auf die Chemie zwischen dem ständig wütenden Daredevil und der griechischen Rächerin. Matt ist in der Vorlage ein Frauenheld, aber in der Serie hat man den Eindruck, er ist zu soft und zu ehrlich, um mit zwei Frauen gleichzeitig anzubandeln, und so wirkt diese Dreieckskonstellation forciert.

Ebenso wie der Streit mit Foggy, der sich während der gesamten zweiten Staffel im Kreis dreht. Viele Actionsequenzen – und einige davon kommen aus völlig unlogischen Grund zusammen – sollen diese dramaturgischen Schwächen kaschieren, tun sie aber nicht.

Natürlicher war da der Flirt von Claire und Matt in Staffel eins. Von dieser Leichtigkeit ist nichts mehr zu spüren – überhaupt gibt es viel zu wenige Auftritte von Claire in „Daredevil“! Netflix spart sich die Figur möglicherweise für „Luke Cage“ auf ...

Jessica Jones ist ein Opfer

Besser fand ich im Vergleich „Jessica Jones“. Ich habe lange gebraucht, um in die Serie hineinzufinden (fünf Folgen, um genau zu sein), weil sie sich erst langsam entfaltet. Die mit übermenschlichen Kräften gesegnete Jessica ist genauso schlecht drauf wie Matt Murdoch. Was sie aber unterscheidet, ist nicht nur ihre Schlaflosigkeit: Jessica Jones ist ein Opfer. Sie wurde vergewaltigt, ausgenutzt und von ihrer Familie – in Person ihrer besten Freundin – systematisch entfremdet.

Die erste Staffel der Serie erzählt nun von den Nachwirkungen dieses psychischen und physischen Missbrauchs, sie erzählt von Alkohol und Abgründen. In den 13 Folgen kämpft sich Jessica Jones zurück, übernimmt wieder die Macht über ihr Leben und über ihren Körper. Und sie schafft es wieder, in Verbindung zu Menschen zu treten. Diese Jessica Jones ist wirklich stark. Leider gibt es immer noch zu selten solche Frauenfiguren im aktuellen Fernsehen.

Jessica und Trish
Jessica und Trish(c) Myles Aronowitz/Netflix

Extra-Lob muss ich an dieser Stelle auch Darstellerin Krysten Ritter (die kennt man noch aus „Breaking Bad“) aussprechen, die die Gratwanderung zwischen zerbrechlich und brutal wunderbar hinbekommt. Dass der Brite David Tennant einen guten Bösewicht abgibt, ist eh klar, schließlich war er „Doktor Who“. Seine Unfähigkeit, moralisch zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden, lässt einen manchmal gar an der eigenen Urteilsfähigkeit zweifeln.

Eine Überraschung war für mich auch Rachael Taylor als Jessicas beste Freundin Trish Walker. Über sie wissen wir nach einer Staffel mehr als über Karen Page nach zwei. Insgesamt hat „Jessica Jones“ somit auch dank der Figuren mehr emotionale Tiefe als „Daredevil“.

"Sismance" statt Romance

Auf zwischenmenschlicher Ebene ist „Jessica Jones“ viel weniger Liebesgeschichte als "Sismance" (die weibliche Form der Bromance) zwischen Jessica und Trish. Dabei gibt es durchaus – angedeutete – Romanzen in der Serie: Jessica und sexy Luke Cage hätten Potential und die Dynamik zwischen Trish und Will Simpson (Wil Traval) ist durchaus spannend. Dass die Serie diese Liebesgeschichten nicht durchexerziert, finde ich gut, denn gerade bei Serien mit Frauen in den Hauptrollen spielen solche Romanzen oft eine zu übergeordnete Rolle und geraten leider oft zu klischeehaft.

Das Zwischenmenschlichen ist ohnehin die größte Herausforderung in der filmischen Umsetzung von Marvels Comic-Welt. Selbst in den sonst starken „Avengers“-Filmen und in „Iron Man“ sind die Liebesgeschichten erstaunlich platt. Am ehesten funktionieren diese noch mit Humor als Kitt.

Davon hat leider „Daredevil“ erstaunlich wenig, auch „Luke Cage“ dürfte eher düster ausfallen, wenn man die Trailer als Indikator nimmt. Der gelungene Einsatz der Musik weckt jedenfalls Hoffnungen, dass auch diese Serie einen eigene Stimmung und Geschichte bekommt, die sie von anderen abhebt. Angesichts der Debatte um Polizeigewalt gegen Schwarze habe ich da einen Verdacht, wohin diese gehen könnte; außerdem spielt „Luke Cage“ im legendären New Yorker Schwarzenviertel Harlem. Und wer weiß, vielleicht gelingt Marvel ja doch noch mal eine Liebesgeschichte.

„Luke Cage“, ab 30. September auf Netflix

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