Wie komme ich dazu, mich immer wieder für Österreich schämen zu müssen?

Österreich hat es zu einer Nachricht im internationalen Online-Magazin Huffington Post Deutschland gebracht. Leider!

Jetzt haben es Österreichs Repräsentanten von Bundespräsident Heinz abwärts geschafft, auch einmal im internationalen Medium Huffington Post Deutschland erwähnt zu werden. Mit einer substanziellen Erklärung zur Außenpolitik? Nein! Mit einem wertvollen Beitrag zur Entwicklung der EU? Nein! Mit dem Witze-Erzähler Wladimir Putin? Ja!
Unter der Schlagzeile „Wladimir Putin zeigt sich in Österreich von seiner witzigen Seite" steht da folgendes zu lesen, Video eines ZIB2-Beitrages inklusive: „Das Image des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist ramponiert - zumindest in weiten Teilen Europas. Nichtsdestotrotz zeigte er sich bei seinem Staatsbesuch in Österreich entspannt und bewies, dass auch Politiker mit diktatorischen Zügen manchmal witzig sein können." Putin konnte den Saal bei seiner Rede in der Bundeswirtschaftskammer zum Lachen bringen. Womit? Indem er die Rede von Präsident Christoph Leitl, der stolz auf seine wiederholte Wiederwahl als Kammerpräsident verwies, mit dem Zwischenruf „Diktatur!" und nach einer Pause „Aber gute Diktatur" unterbrach. Im Saal wurde laut gelacht, der Bundespräsident lachte, alle fanden das witzig.

Putin hatte auch allen Grund, entspannt zu sein. Er war mit standing ovations begrüßt worden.
Diese und das Gelächter sind der Punkt. Den Begriff Fremdschämen kann ich an dieser Stelle schlecht verwenden, denn wie soll ich mich über das eigene Land „fremdschämen"? Denn es geht ja gar nicht um diese Repräsentanten letzte Woche allein. Es geht nicht darum, dass ein Saal voller Opinionleaders oder was immer nicht die Haltung hatte, dem russischen Präsidenten wegen der Annexion der Krim, der Unterdrückung von Minderheiten und der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen wenigstens keinen Empfang mit standing ovations zu bereiten. Es geht auch nicht darum, dass sie sich bei seinem Witzchen nicht zerkugeln hätten sollen. Es geht darum, dass so etwas in Österreich ja nicht zum ersten Mal vorkommt; dass wir immer wieder keine Haltung an den Tag legen, wenn eine solche absolut erforderlich wäre.


Fast vierzig Jahre ist es her, dass der damalige Innenminister Otto Rösch (SPÖ) den Terroristen Carlos nach dem Überfalls auf die OPEC in Wien im Dezember 1975 am Flugfeld von Schwechat per Handschlag in das für die Terroristen und ihre Geiseln bereitgestellte Flugzeug verabschiedete. Da war sie schon damals - diese eine Geste zu viel, für die man sich genieren musste. Dass der Innenminister eines Landes als oberster Verantwortlicher nach dramatischen Tagen in Schwechat bis zum Abflug der Terroristen anwesend ist, um im Notfall vor Ort zu sein, kann als Pflichterfüllung gelten. Dass er jenen Mann die Hand reichte, dessen Aktion damals auch für den Tod eines Polizisten verantwortlich war, war unwürdig und ohne Anstand.
Warum machen wir uns immer und immer wieder zum Gespött? Dass Heinz Fischer sich von Putin instrumentalisieren ließ indem er keinen geeigneten Weg gefunden hat, dessen Einladungs-Selfie nach Österreich zu übersehen, kann als Ausdruck der Sehnsucht nach Bedeutung gelten. Aber dass er dann über dessen Witzchen - auf Kosten Leitls noch dazu - auch noch kicherte, war seiner nicht würdig. Und wäre das Publikum wenigsten sitzen geblieben, hätte man das noch als ein minimales Zeichen des Missfallens von Völker- und Menschenrechtsverletzung deuten können.
Aber nicht immer sind es Politiker. Noch heute geniere ich mich für einen Vorfall im Jahre 1986. Es war im Presseclub „Concordia", in dessen Räume damals noch die wichtigsten Pressekonferenzen stattfanden - schon seit vielen Jahren nicht mehr. Heute wandern wir Journalisten zu den Politikern, nicht umgekehrt. Fred Sinowatz war gekommen, um die SA-Vergangenheit des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim zu „enthüllen". Dass Waldheitm diese bestritt, quittierte der Burgenländer mit dem bekannten Satz: „Ich nehme zur Kenntnis, dass nicht Waldheim bei der SA war, sondern sein Pferd". Wir Journalisten lachten und kicherten damals so wie das Publikum in der Wirtschaftskammer vor einer Woche. Wenn man bedenkt, welchen Imageschaden Österreich in den folgenden Jahren international erlitten hat, war unsere Reaktion einfach unpassend und unwürdig. Wir hätten nicht so reagieren dürfen.


Oder jener Medienbericht, wonach Außenminister Sebastian Kurz dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan „die Leviten gelesen hat". Ja, eh! Der 27jährige Außenminister eines kleinen Landes wird dem Regierungschef der mächtigen Türkei eine Strafpredigt gehalten haben! Der Begriff stammt übrigens aus dem Jüdischen: Der Stamm Levi war für den Tempeldienst und somit für die Einhaltung der Regeln zuständig. Ein katholischer Jungspund hält also einem moslemischen Machtmenschen eine Strafpredigt. Bestimmt! In unserem Hang zur Lächerlichkeit soll uns niemand übertreffen - offenbar in der Politik wie in den Medien.

"Verabschiedung" der Terroristen in Wien Schwechat im Dezember 1975 (pisinger.at)

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