Dürfen die denn das?

Kann man einem Gesamtkunstwerk noch etwas hinzufügen? Ambo und Volksaltar für Otto Wagners Kirche am Steinhof: Dieter Henke und Marta Schreieck lösten die anspruchsvolle Aufgabe mit einem Team hoch qualifizierter Kunsthandwerker.

Kann man einem Gesamtkunstwerk noch etwas hinzufügen? Und wenn dessen Entwerfer Otto Wagner heißt - dürfen die das denn? Das Bundesdenkmalamt sagt, man darf ausnahmsweise, wenn das Zusatzwerk ohne Schäden an der historischen Substanz wieder entfernbar ist. Die Erzdiözese Wien, vertreten durch Baudirektor Harald Gnilsen, Diözesankonservatorin Hiltigund Schreiber und den erzbischöflichen Zeremoniär Martin Sindelar befürwortet aus liturgischen Gründen, beharrt aber auf hoher Qualität. Die Stadt Wien als Eigentümerin der Kirche ist bereit, kurzfristig einen Wettbewerb unter fünf geladenen Architekten auszuloben. Dessen Jury, unter dem Vorsitz von Heinz Tesar, prämiert ein kühnes, in seiner Konzeption aber vielversprechendes Projekt. Das war im Juni 2006. Am 1. Oktober wurde der Altar durch Kardinal Schönborn gesegnet.

Das nahezu hermetische Gesamtkunstwerk "Steinhofkirche" verbietet Anbiederung. Abstand zum Bestehenden ist gefragt. Kontrast, das ist das verbreitete Klischee. Schon recht, aber wie stark - und in welche Richtung? An der Innenausstattung der Kirche haben mehrere Künstler mitgewirkt. Am bekanntesten, selbstständigsten und daher wirkungsstärksten sind die seitlichen Glasfenster von Kolo Moser, durch die viel Licht in den Kirchenraum dringt.

Der gegenklassische Entwurf von Dieter Henke und Marta Schreieck kommuniziert nun bezüglich Leichtigkeit, Transparenz und selbst Farbe mehr mit den Fenstern Kolo Mosers, schlägt sich also auf die Seite jener Kunst, die in den ihr zugewiesenen offenen Stellen der Architektur sich vergleichsweise frei entwickelte. Damit ist der Annäherung schon Genüge getan, denn der Entwurf ist zeitgenössisch und reklamiert seinerseits Autonomie, aber eben nicht lauthals, dafür ist er angenehm zart.

Auf einem niedrigen Podest aus fugenlosem Terrazzoestrich, das die Altarbereichsstufe lokal erweitert, steht der in Dimension und Lage bereits von der Ausschreibung festgelegte Volksaltar, flankiert vom verwandten Ambo. Die Platte besteht aus transluzentem, honigfarbenem Kunstharz. Im Raum zwischen Altarplatte und Podest spannt sich ein vergleichsweise fadendünnes Gestänge zueinander windschiefer Geraden, das seine tragende Funktion nicht bildhaft ausdrückt, sondern sich ganz davon entfernt hat. Eigentlich ist es eine einzige endlose Abwicklung, die, mit scharfen Winkeln, sowohl am Boden, als auch eingegossen in der Altarplatte, jeweils mit drei gleichseitigen Dreiecken und zwei Geraden sich zu optisch fassbaren Formen verdichtet, bevor der weitere Verlauf zur Gegenfläche strebt. In den solcherart aktivierten Raum unter der Altarplatte sind als Akzent drei farbige Glasbrocken eingesetzt, die das gegenstatische Spiel zuspitzen.

Die gestalterisch inszenierte Schwerelosigkeit der beiden liturgischen Orte lässt - im geometrisch gebundenen Kontext der Wagnerschen Kirche und auf begrenztem Raum - die für den Gottesdienst geforderte Neugestaltung in unerwarteter Selbstverständlichkeit möglich werden. Doch soll nicht vergessen werden, dass von der Wettbewerbsidee bis zur konkreten Ausführung, so, wie das Ganze jetzt dort steht, ein intensiver Prozess zur Präzisierung und Machbarkeit zu bewältigen war, für den drei Sommermonate eine knappe Zeit sind.

Das erste - liturgische - Problem stellte das geplante Material der Platte dar. Denn eine Altarplatte sollte aus Stein sein - das bei der Altarweihe gesprochene Gebet bezieht sich auf Stein. Da aber St. Leopold am Steinhof (bloß) eine Rektoratskirche und der Altar, der aus denkmalpflegerischen Gründen reversibel sein muss, nicht unverrückbar ist - was ein Altar ebenfalls sein sollte - und da er auch keine Reliquien enthält, war zwar vorgesehen, ihn zu segnen, nicht aber ihn zu weihen. Damit war der Weg für anderes Material, und zwar Glas, wie die Jury vorschlug, einen Spalt weit offen.

Versuche mit Glas befriedigten aber nicht. Probleme mit den verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten von Stahl und Glas waren für den Guss absehbar, und dem Glas mangelte es an jener Körperhaftigkeit, die Kunstharz auszeichnet. Als ausschlaggebend erwies sich dann jedoch das Kriterium der Materialgerechtigkeit, das für die Gestaltung der liturgischen Orte Gewicht hat. Der logische Verarbeitungsvorgang von Kunstharz gab daher den Ausschlag.

Noch war jedoch die übrige Ausführung nicht klar. Und die Zeit drängte. Da stießen die Architekten und ihr Mitarbeiter Martin Huber auf ein Wiener Spezifikum, das vielleicht auch in anderen Städten vorkommt, doch in Wien hat es Tradition: Ein Netzwerk hoch qualifizierter Kunsthandwerker, oft akademisch gebildet, legte beiläufig einen zweiten historisch-strukturellen Bezug zur vorigen Jahrhundertwendezeit - die enge Zusammenarbeit mit kunsthandwerklich versierten Professionisten und Künstlern.

Für den Unterbau - eine Tischlerarbeit - und die Koordination mit den anderen Handwerkern sorgte Albert Wilfert. Die Schlosserarbeiten der filigranen, gezunderten und gebeizten Unterkonstruktion von Altar und Ambo fertigte Richard Pirker. Das Eingießen der oberen Gestängekonfiguration in Kunstharz, wobei der Gussvorgang zur Platte in acht Schichten erfolgte, erforderte das Fachwissen von Kurt Straznicky. Wenn man es nicht weiß, erkennt man den prozessbedingten Schichtaufbau der Altarplatte kaum. Sie wirkt als integrales Stück.

Ein Sonderproblem sind die Installationen für die Sprachverstärkung. Handelsübliche Bodensteckdosen würden in dem extrem reduzierten und verfeinerten Kontext schwerfällig und profanierend wirken. Die Spezialanfertigungen aus Messing mit kaum sichtbaren Deckeln aus Aluminium kommen aus dem Atelier von Gert Mosettig. Die farbigen Glasbrocken suchten die Architekten zuerst in Murano, wurden aber nicht fündig. Schließlich war es die Firma Swarovski Kristallglassteine, die das ungewohnte Produkt zu liefern vermochte.

Man braucht nicht tief gläubig zu sein, um die Besonderheit der Aufgabe, für einen Sakralraum zu arbeiten, zu erfassen. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit von Architekten und Kunsthandwerkern verlieh dem Endprodukt jene qualitative Brillanz, wie sie vom Diözesanbaudirektor am Anfang eingefordert und als Idee im Wettbewerbsentwurf angelegt war. Gemeinsam schufen alle Beteiligten in dem großen, von der Kunst- und Architekturgeschichtsschreibung längst nobilitierten ein kleines selbstständiges Gesamtkunstwerk.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.