Muskelschwäche: Völlig neues Trainings-Schema

REHABILITATION. Im Rahmen eines EU-Projekts wurden in Wien und Bratislava neue, computergesteuerte Trainingsgeräte entwickelt, die einen rascheren Muskelaufbau nach Verletzungen und Operationen ermöglichen.

K
reuzbandriss, Oberschenkelhals-Frak tur oder Kniegelenk-Ersatz: Nach der artigen Verletzungen oder Eingriffen ist in der Rehabilitationsphase ein gezielter Muskel-Aufbau nötig. Ziel ist es vor allem, die asymmetrische Muskelleistung nach einer solchen Operation - die Muskulatur des operierten Beines kann schwerer aktiviert werden - wieder auszugleichen, zugleich aber das verletzte oder operierte Gelenk nicht zu stark zu belasten.

"Bislang war es allerdings nur schwer möglich, die Auswirkungen des Trainings auf den Muskel zu messen beziehungsweise die für den Muskelaufbau erforderliche Muskelleistung exakt zu definieren", erklärt Prim. Univ.-Doz. Dr. Helmut Kern, Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin am Wiener Wilhelminenspital.

Unter der Leitung von Kern haben Wiener Mediziner mit Technikern des Forschungsinstitutes für Orthopädietechnik und des Ludwig Boltzmann Institutes für Elektrostimulation und Physikalische Rehabilitation gemeinsam mit Sportwissenschaftlern der Universität Bratislava zwei neue, computergesteuerte Trainingsgeräte entwickelt, die nicht nur die aktuelle Muskelleistung messen, sondern auch ein gezielt auf die jeweilige Leistungsfähigkeit abgestimmtes Training ermöglichen.

"Die Muskelleistung setzt sich aus Kraft und Geschwindigkeit zusammen, allerdings wurde die Geschwindigkeits-Komponente bislang in der Rehabilitation kaum berücksichtigt", erklärt dazu auch Dr. Lukas Trimmel, der am Wiener Wilhelminenspital an dem - zu gleichen Teilen durch EU und Wissenschaftsministerium geförderten - Projekt mitarbeitet. Erstes Resultat der Kooperation Wien-Bratislava ist das sogenannte isokinetische Fahrrad, das seit einigen Monaten bei Patienten nach Kreuzband-Operationen eingesetzt wird.

"Das Prinzip des Fahrrades besteht darin, dass die Geschwindigkeit, mit der die Pedale bewegt werden, exakt vorgegeben wird", sagt Trimmel. In einer Eingangsuntersuchung wird zunächst die optimale Leistungsfähigkeit des Patienten errechnet. "Liegt diese etwa bei 80 Umdrehungen pro Minute, dann wird idealerweise knapp unter- beziehungsweise oberhalb dieses Wertes trainiert."

Der Patient tritt bei fix eingestellter Geschwindigkeit mit seiner maximal möglichen Kraft, wobei je nach Muskelkraft die Pedale entsprechenden Widerstand leisten. "Damit können auch Ungleichheiten der Seiten entsprechend berücksichtigt und im Zuge des Trainings ausgeglichen werden", erläutert Trimmel. Ein "Schummeln" in Form eines Mitziehens der Pedale ist nicht möglich, somit muss das verletzte Bein trainiert werden.

"Ein wesentlicher Vorteil der Methode besteht darin, dass die Therapie zu jeder Zeit messbar und objektivierbar ist - via PC kann die Muskelleistung für jedes Bein getrennt laufend gemessen werden", sagt Stefan Löfler vom Ludwig Boltzmann Institut für Elektrostimulation. Zudem handelt es sich um eine äußerst gelenk-schonende Trainingsmethode, denn Muskel und Gelenk werden nur entsprechend der individuellen Muskelleistung belastet.

Völlig neu ist auch das Trainings-Schema: Nach einer Aufwärmphase von fünf Minuten werden pro Trainingseinheit vier bis sechs Durchgänge zu je zehn Sekunden durchgeführt. "Das ist völlig ausreichend und schon nach zehn Einheiten wird eine deutliche Verbesserung der Muskelleistung erzielt", erklärt Mag. Philipp Drewniak, der an der technischen Entwicklung des Trainingsgerätes mitarbeitet. "Sogar gut trainierte Probanden berichten, nach einem solchen Training einen Muskelkater zu haben. Damit wird ersichtlich, wie effektiv die kurze Belastung mit Maximalkraft ist."

Unterscheidet sich bei einem Patienten nach einer Kreuzband-Operation die Muskelleistung zwischen linkem und rechtem Bein normalerweise um 40 Prozent, so konnte diese Differenz nach insgesamt 20 Einheiten auf zehn Prozent verringert werden. "Unterschiede von fünf Prozent werden noch als normal angesehen, da auch bei Gesunden nie beide Beine über die exakt gleiche Kraft verfügen", sagt Trimmel.

In einer zweiten Projektphase haben die Wissenschaftler in Wien und Bratislava nun ein weiteres Trainingsgerät, eine "Legpress" entwickelt: Im Gegensatz zu ähnlichen, in Fitnessstudios verwendeten Geräten besteht das für die Rehabilitation bestimmte Gerät im Wesentlichen aus zwei Motor-betriebenen Beinplatten, mit denen ebenfalls unterschiedliche Widerstände und damit für jedes Bein unterschiedliche Trainingseffekte erzeugt werden können.

"Hinzu kommt, dass wir durch schwingende Effekte die Muskulatur zusätzlich stimulieren können", führt Trimmel aus. In sitzender Position werden die Beinplatten dann vom Patienten mit Muskelkraft belastet und damit wird speziell die Oberschenkelmuskulatur trainiert.

Ab kommendem Frühjahr soll dieses Trainingsgerät zunächst bei Patienten mit Knie-Endoprothesen eingesetzt werden. "Gerade nach diesen Eingriffen kommt es häufig zu einer sogenannten funktionellen Muskellähmung", berichtet Projektleiter Kern. Die genauen Ursachen für diese auch als "Willkür-Aktivierungsschwäche" bezeichnete Störung sind noch unbekannt. Diese Schwäche führt dazu, dass der Oberschenkelmuskel nach der Operation schwerer aktiviert werden kann. Das Projekt-Team um Kern erhofft sich nun, durch die eigens konstruierte "Legpress" und den individuell angepassten Trainingsformen den Rehabilitations-Prozess zu verbessern.

Zur Kontrolle des Rehabilitations-Fortschrittes werden im Physikalischen Institut am Wiener Wilhelminenspital außerdem Messungen der Gehfähigkeit an einem Laufband mit Bodenreaktions-Platten durchgeführt. "Speziell für ältere Menschen ist es ein ganz wichtiges Rehabilitations-Ziel, wieder entsprechende Standfestigkeit und Gangsicherheit zu erreichen, um Stürze zu vermeiden", betont Trimmel. "Gerade beim Stiegensteigen oder bei Sturzgefahr müssen sie auch in der Lage sein, rasch hohe Muskelleistungen zu erzielen - genau das können wir durch das Training am isokinetischen Fahrrad oder an der Legpress erreichen."

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.