Symbolischer Mord am Detektiv, der selbst der Aufklärer ist

Neuerscheinungen zum 100. Geburtstag von Günther Anders

Günther Anders
Über Heidegger
Hrsg. von Gerhard Oberschlick in Verbindung mit Werner Reimann als Übersetzer, Mit einem Nachwort von Dieter Thomä, 488 S., geb., Â 35,90 (C. H. Beck Verlag, München)

Ludger Lütkehaus
Schwarze Ontologie
Über Günther Anders, 136 S., brosch., Â 14,40 (Zu Klampen Verlag, Lüneburg)

Konrad Paul Liessmann
Günther Anders
208 S., geb., Â 20,50 (C. H. Beck Verlag, München)

Wenn man Philosophen "nach den Erfolgen beurteilte, die sie auf dem Feld der Lehre errungen haben" (und damit nach der Güte ihrer Schüler), dann, so notiert Dieter Thomä, "hätte Martin Heidegger Anspruch auf einen vorderen Platz". Hannah Arendt, Hans-Georg Gadamer, Hans Jonas, Karl Löwith, Herbert Marcuse, Emmanuel Levinas wären zu nennen. Und eben - und das war nicht immer derart augenscheinlich - Günther Anders.

Der fast 500 Seiten starke Band "Über Heidegger" führt dem Leser vor Augen, wie leidenschaftlich sich Anders an Heidegger abgearbeitet hat, dessen "Sein und Zeit" ihn zutiefst beeindruckt hat. Zweifelsohne ist in Anders' Technikkritik sowie in seinen anthropologischen Befunden von der prinzipiellen Weltfremdheit des Menschen das Heideggersche Denken eingeschrieben, auch wenn Anders nicht müde wird - sozusagen mit Marx im Rücken - den fehlenden Gesellschaftsbezug Heideggers zu beanstanden, so, wenn er 1946 polemisch moniert, daß das Heideggersche Dasein "keinen Hunger", "keinen Leib" und "keinen Gesellschaftsrahmen" habe.

1933 stellt Anders Gabriel Marcel und dessen Kreis Heidegger als den Vollender deutschen philosophischen Denkens vor, das von Kant und Hegel seinen Ausgangspunkt nimmt. Die phänomenologische Reduktion auf die Lebenswelt und das Dasein sieht er bereits in Hegels "Phänomenologie des Geistes" vorgeformt als einen "Rückgang auf die vorwissenschaftlichen Geistformen". Sie erst ermöglicht die anthropologische Wende in der modernen Philosophie: die Hinwendung zum Menschen in einer "Detektivgeschichte, in der der Mörder der Aufklärung die Aufklärung selbst ist".

Das ist 1933 durchaus nicht polemisch gemeint. Die Absetzung vom Lehrer und von Hannah Arendt, die - nach einer Affäre mit Heidegger - von 1928 bis 1936 die Ehefrau von Anders war, gestaltet sich schmerzhaft und vollzieht sich im Schatten von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus. Daß Anders schon vor 1933 jene Distanz zum "Murmeln" des Meisters entwickelt hat, die seine witzig-boshafte Anekdote über seinen einzigen Abend bei Heidegger ("sehr einfaches Nudel-Abendessen") suggeriert, ist überaus unwahrscheinlich. - Der Band versammelt kluge Kommentare, Kritiken und Einsichten, die heute oft zum Allgemeingut der Diskussion um den berühmtesten und berüchtigtsten Denker des 20. Jahrhunderts gehören: etwa seine religiös-salbungsvolle Verabschiedung der Metaphysik, den antidemokratische und antizivilisatorische Affekt, die historische Ortlosigkeit seiner Daseinsanalyse, seinen lebensfeindlichen Nihilismus. Sosehr sich Anders vom philosophischen Patriarchen abzusetzen versucht, der symbolische Mord am Detektiv, der selbst der Mörder der Aufklärung ist, mißlingt letztlich.

Denn Anders' Analyse der modernen Massenmedien, der Atombombe und Auschwitz' ist undenkbar ohne die Heideggersche "Schwarze Ontologie", wie Ludger Lütkehaus das in seinem 1992 erschienenen, nun wiederaufgelegten Aufsatzband bezeichnet. Aus dieser Perspektive ortet auch Konrad Paul Liessmann das Werk von Günther Anders, wobei er weniger auf Anders' Kommentare zu Heidegger als vielmehr auf zwei programmatische Texte von Anders Bezug nimmt, die dieser 1934 bis 1936 in den "Recherches philosophiques" publizierte. Vor allem in der "Pathologie de la Libert©" sieht Liessmann einen zentralen Text, der den Freiheitsbegriff Sartres vorwegnimmt und zugleich einen Schlüssel zum Verständnis des späteren Werkes liefert. Nur in der Weltfremdheit - so interpretiert Liessmann Anders - "erfährt der Mensch auch sein Dasein".

Wissenschaft, Technik und Kunst sind Ausdruck einer "weltfremden" Freiheit, in welcher der Mensch die Künstlichkeit seines Daseins erfährt. Insbesondere die Technik folgt dabei einer paradoxen Dialektik. Sie stellt den Versuch dar, die Weltfremdheit zu überwinden, und reproduziert sie auf eine ungeheure Weise: Die Macht des weltfremden Menschen über die Welt (mittels der Technik) schlägt um in die Übermacht der Technik, die den Menschen als unzeitgemäß erscheinen läßt. Das ist jener Punkt, an dem Anders zufolge der Wille zur Macht in prometheische Scham umschlägt: Die Technik macht uns nichtig, mittelbar wie unmittelbar. So wird der Nationalsozialismus schon früh zur "Avantgarde" der Katastrophe.

Das mag zeitbedingt mehr als verständlich erscheinen. Für einen theoretischen wie moralischen Skandal halte ich indessen, daß Anders "im Zeitalter der technologischen Revolution" (Liessmann) nachträglich eine Interpretation von Auschwitz nahelegt, welche die Shoah als eine Epiphanie des Technischen erscheinen läßt, jener Technik, die Anders zufolge das Nichtig-Gewordene dann auch handgreiflich nichtig macht. Was Anders erzählt, ist die Geschichte eines unvermeidlichen Verhängnisses, vorgetragen von einem prophetischen Erzähler, der seinen Kaddisch erhebt, weil er weiß, daß es nach dem apokalyptischen Ende keinen mehr geben wird, der imstande wäre zu trauern.

Beinahe verzweifelt legt sich Liessmann die Frage vor, warum diese brisante Mischung aus kulturpessimistischem Fatalismus und einer radikal linken Position, der eigentlich jedwede theoretische Begründung abgeht und die wohl nur im deutschen Milieu heimisch werden konnte, heute unattraktiv geworden ist. Die neuen Techno-Avantgarden verspüren keinerlei prometheische Scham. Mögen ihre politischen Heilserwartungen kurzsichtig sein, so machen sie doch deutlich, daß Technik nicht zuletzt eine Selbstentäußerung darstellt. Als "weltfremd" erweist sich die Anderssche Annahme vom Nichtig-Werden des Menschen im Gefolge der Technik: Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit haben Individualismus und Menschenrechte eine derart prominente und unhintergehbare Rolle gespielt.

Liessmanns Buch nährt das Mißverständnis, man könnte Anders in eine akademische Reihe mit Heidegger, Husserl oder mit Arendt und Levinas stellen. Das suggeriert eine höchst problematischen Kontinuität zwischen dem jungen, im Schatten Husserls und Heideggers philosophierenden Anders und jenem Intellektuellen, der sich in die öffentlichen Debatten um Aufrüstung, Atomwaffen, Nachrüstung, Mondfahrt und nationalsozialistische Vergangenheit einmischt. Der Bruch, den Anders mit Heidegger vollzieht, ist letztlich einer des rhetorischen und ästhetischen Duktus.

So wenig wie Elias Canettis "Masse und Macht" ist die kleinteilige "Antiquiertheit des Menschen" mit ihren essayistischen Tableaus ein philosophisches, viel eher ein kleinteiliges essayistisches Panoptikum, wie die schönen Miniaturen über die japanischen Spielhöllen, die Filmrequisiten in Hollywood oder Anders' metaphorisches Spiel mit Matrix und Matrize belegen. Der ästhetische Witz des politischen Essayisten Anders verbürgt noch immer eine gewisse Frische, die auch in den Aphorismen, in der "Kosmologischen Humoreske" sowie in den "klassischen" Essays über Brecht, Döblin oder Kafka zu spüren ist. Der Stilist Liessmann erwähnt diese entscheidende Nebensächlichkeit leider nur ganz am Rande.

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