Noch ehe der Computer lahmt

Nicht nur wir, auch unsere digitalen Gerätschaften setzen mit der Zeit Speck an. Mit fataler Konsequenz: Die Festplatte wird zur trägen Masse. Zeit, ans Abspecken zu denken. Tips für eine Fitneßkur für den Computer.

Computerarbeit ruft bisweilen die Erinnerung an Sisyphos wach: Kaum hat man sein System mit beträchtlichem Zeiteinsatz halbwegs zum Laufen gebracht, sprich: den konkreten Ansprüchen entsprechend konfiguriert, ist es eigentlich schon wieder veraltet. Bereits nach wenigen Wochen beginnt es wieder Schlacken anzusetzen, umständlich und träge zu werden, schlimmstenfalls sogar: funktional auszusetzen. Der digitale Stein des Sisyphos ist längst wieder dabei, den Berg hinunterzurollen. Was noch vor kurzem so flott gelaufen ist, beginnt, spürbar zu lahmen.

In aller Regel müssen wir uns eingestehen, daß wir an einem gut Teil des wiederholten Rückfalls in das systemische Chaos selber schuld sind. Noch dazu in unverzeihlicher Weise, weil wir selbst die minimalen Grundsätze des gesunden Hausverstandes zu mißachten beginnen, sobald wir uns vor den PC setzen - und munter drauflos arbeiten. Sie ahnen schon, ich spreche aus eigener Erfahrung.

Als ich nämlich im heurigen Frühjahr am einem Buch zu schreiben begann, wurde mir plötzlich bewußt, wie lange ich schon mit meinem PC-System Schindluder getrieben hatte. Denn: Nach einer vordergrün-digen und relativ unkomplizierten Beseitigung einiger kleinerer Instabilitäten des Betriebssystems offenbarte mir der nähere Blick auf "das Ganze" ein Durcheinander an historisch gewachsenem Datengerümpel, das schleunigst aufgeräumt werden sollte.

Schleunigst ist leicht gesagt: Zwei Tage war ich damit beschäftigt, meine digitale Müllhalde zu beseitigen und abzuspecken. Eine Erfahrung daraus: Mir wurde erstmals klar bewußt, wie sehr unsere digitalen Arbeitsumgebungen quasi architektonisch geprägt sind. Sie ähneln nicht bloß überfüllten Schreibtischen, sondern nach Jahren sogar ganzen Wohnungen oder gar Häusern, die wir mit wertvollen Dingen und gleichermaßen auch einer unübersehbaren Fülle von Gerümpel nach und nach vollgestopft haben. Manche der ursprünglich sinnvoll eingerichteten Räume (sprich: Festplatten-Partitionen und Datenverzeichnisse) sind solcherart längst nicht mehr bewohnbar, ja: sind meist sogar nahezu unzugänglich geworden.

Die logische Konsequenz, die ich daraus gezogen habe: Ich habe für mich ein "Feng Shui" der digitalen Art eingeführt - und bis heute sehr konsequent durchgehalten. Wie man das macht? Nun, dazu muß man ein paar sehr einfache Regeln beherzigen. Der erste Schritt (zumindest bei historisch gewachsenen Systemen) besteht in einer gründlichen Analyse des vorgefundenen Durcheinanders. Was von den Daten und Programmen brauche ich noch, was hingegen ist schon längst verzichtbar, was kann ich daher ohne Schaden und späterer Reue kurzerhand löschen?

Ungeschönt gesagt: Ohne den festen Willen zur konsequenten Verwerfung und Vernichtung alter und unnötiger Datensammlungen wird das kein produktiver Prozeß. Er würde im Wohnungsbereich eher dem hilflosen Versuch ähneln, sich sinnlos angehäufter Dinge zu entledigen, indem man sie in den Keller räumt. Ein Vorgang, der die Entrümpelung nur verschiebt, aber nicht erledigt: Der Zeitpunkt, da das verdrängte Gerümpel aus allen Kellerritzen quillt, ist absehbar.

Allen unentschlossenen PC-Aufräumern ein Vorschlag zur Güte: Ich habe mein ebenfalls zögerliches Gewissen einfach damit beruhigt, daß ich alle meine Datenbestände eins zu eins auf eine große Festplatte gesichert habe, die ich daraufhin aus dem PC entfernt und andernorts verwahrt habe. Motto: Wenn's mich einmal reut, dann kann ich noch immer darauf zurückgreifen. Nur: Bis heute ist diese Verzweiflungstat nicht aufgetreten. Und mir beginnt zu dämmern, wie wichtig es bisweilen ist, sich von alten Dingen zu trennen.

Schritt zwei: Den gewonnenen Speicher, diesen digitalen Lebensraum, gilt es daraufhin neu zu arrangieren. Das bedeutet nicht, daß man alle guten und altbewährten Ordnungssysteme am PC gleich in einem Aufwaschen ändern muß, sondern vielmehr, daß man sich unvoreingenommen bewußt machen muß, was längst obsolet geworden ist und was sinnvoll beibehalten werden kann. Manche Datensammlungen und Programmgruppen braucht man selten, aber doch: Die Konzentration dieser nur fallweise wertvollen Daten in einem speziell als solches erkennbaren, weil plastisch gemachten Verzeichnis, ist daher sinnvoll. Ich verräume diese temporär nützlichen "Dinge" in den Hintergrund, weiß aber jederzeit, wo sie gesammelt auffindbar sind.

Zugleich ist eine Bewertung der unverzichtbaren Programme und Daten das Gebot der Stunde: Diese in einen oder mehrere klar gekennzeichnete Arbeitsordner zu legen, die an prominenter Stelle der Arbeitsoberfläche stets präsent sind, schenkt mir in der Folge zudem ein beachtliches Zeitguthaben. Denn die mühsam geschaffene "neue Übersichtlichkeit" rentiert sich mit jedem Handgriff, den ich am PC vollführen muß. Ich weiß jederzeit und sofort, wo meine Arbeitsdokumente liegen, muß nicht erst lang suchen, unzählige Mausklicks bleiben im Vorfeld erspart, frühere Versionen meiner geleisteten Arbeit sind auf einen Blick als solche erkennbar.

Sie meinen, all das wären nur Banalitäten, Grund ordnungen dieser Art würde sich ohnedies jeder Benutzer wohlweislich einrichten? Das habe ich auch geglaubt und mich selber zerknirscht als besonders chaotischen User empfunden, der nicht (wegen der intensiven PC-Ausnutzung?) und nicht in der Lage ist, seine Dateien halbwegs im Griff zu haben, somit ständig im digitalen Müll versinkt. Bis ich mir nach meinem Frühlingsputz mit geschärftem Bewußtsein einmal die PCs in meiner Umgebung angesehen habe und erleichtert erkannte: 90 Prozent der Benutzer, egal ob Anfänger oder Professional, leiden unter einem ähnlichen Syndrom.

Die Anfänger, weil Microsoft-Umgebungen ihre Arbeitsdaten automatisch in einen immer komplexer werdenden Folder namens "Dokumente und Einstellungen" ablegt - was mit der Zeit zur Verwirrung führen kann. Und die Fortgeschrittenen, weil sie (wie ich) im eitlen Wahn leben, sie bräuchten kein "digitales Feng Shui": sie finden sich in ihrem Chaos angeblich allemal bestens zurecht, für den Fall, daß sie einmal ein altes Dokument brauchen. Stimmt, aber mit welchem Aufwand!

Die einzig löblichen Ausnahmen von der Regel konnte ich bei Berufsgruppen entdecken, bei denen die strenge Ordnung quasi zur Grundausbildung gehört: wie bei Buchhaltern und Steuerberatern, bei Anwälten und aktenkundigen Beamten. Wobei ich mich des Eindruckes nicht erwehren konnte, daß auf deren durchstrukturierten PCs die konsequente und permanente Erhaltung der diffizilen Ordnung ebenfalls einen stetig größer werdenden Zeitaufwand generiert.

Entscheidend für das Gelingen dieser System-Bereinigung sind jedoch noch einige weitere Faktoren: Zum einen ist man gut beraten, wenn man dieses Umschaufeln und Sichten all seiner Datenmengen auch zum Anlaß nimmt, die drei Kategorien Systemdateien, Anwendungsprogramme und konkrete Arbeitsdateien fein säuberlich voneinander zu trennen. Und im Idealfall sogar auf separaten Partitionen der Festplatte oder gar auf einer zweiten Festplatte zu speichern.

Der Grund dafür ist einfach: Nicht erst, wenn der PC gefährlich unrund zu laufen beginnt, sondern schon bei jedem rou-tinemäßigen Backup wird es zum erfreulichen Komfort, wenn die unersetzlichen Arbeitsdateien an einem erkennbaren Ort konzentriert sind. So kann man seine kritischen Daten en bloc in Sicherheit bringen - oder das sogar von einem Backup-Programm automatisch und unmerklich im Hintergrund erledigen lassen. Und wenn das System crasht, erlebt das separierte Datenarchiv erst seine große Sternstunde.

Wie dem auch sei: Wenn man schon dabei ist, seinem System durch Umstrukturierung und Generalsanierung zu Schlankheit und Überschaubarkeit zu verhelfen, sollte man vielleicht auch noch das eine oder andere für die "nachhaltige Fitneß" seines lahmenden PC tun - in einem Aufwaschen sozusagen. Gewiß: Die Radikalmaßnahme wäre in vielen Fällen einfach ein neues, leistungsfähigeres Gerät. Da wir aber in eher mageren Zeiten leben, kann auch ein leichtes System-Tuning schon das eine oder andere kleine Wunder bewirken.

Gönnen Sie Ihrem PC ein wenig mehr Speicher: 256 MB oder 512 MB kosten nicht die Welt. Und geben den aktuellen Betriebssystemen wie Windows 2000 und XP die angemessene "Luft zum Durchatmen", sprich: ein komfortables Leistungsreservoir. So nebenbei: Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Festplatte(n) defragmentiert?

Wenn sich Ihre Datenpa kete einmal völlig chao tisch über die Harddisk verstreut haben, läßt logischerweise die Performance nach, weil der Lesekopf des digitalen Speichergeräts in diesem Hickhack unnötige Wegstrecken sonder Zahl zurückzulegen hat. Im Klartext: Eine konsequent und periodisch durchgeführte Defragmentierung bringt im Massenspeicher "wieder zusammen, was zusammengehört".

Eigentlich sehr schade, daß man nicht sehen kann, wie sich nunmehr die an der Oberfläche geschaffene Ordnung bis tief ins Innere harmonisch und leistungsfördernd fortsetzt. Fitneß beim PC heißt viel eher: Abschlanken. Weglassen. Zusammenräumen. Ordnen. Irgendwie paradox. Doch auch beim Wien-Marathon hemmt schließlich jedes zusätzliche Kilogramm an Masse und jede unnötige Bewegung. Sagt mir mein digitaler Hausverstand. Seit kurzem. [*]

Jakob Steuerer ist unter der E- Mail-Adresse xs3@aon.at erreichbar.

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