Das Milliardengeschäft mit der Angst vor dem Krebs

In den USA ist rund um den Brustkrebs eine Wohltätigkeitsindustrie entstanden. Sie lässt sich von der Pharmawirtschaft finanzieren.

Als Angelina Jolie am Dienstag in der „New York Times“ ihre Brustamputation bekannt gab, machte sie Peter D. Meldrum um 392.700 Dollar reicher. Meldrum ist der Vorstandschef der an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq notierten Biotechfirma Myriad Genetics. Sie hat das Patent auf die Untersuchung des Gens BRAC1 und ist damit der einzige Anbieter von Tests, mit denen sich Mutationen dieses Gens und mögliche Krebsrisken feststellen lassen (im Juni entscheidet der US Supreme Court über die Rechtmäßigkeit dieses Patents).

Ein solcher Test hatte Jolie zur Mastektomie bewogen. Das Interesse an ihrem Fall rückte auch Myriad ins Visier der Anleger; der Aktienkurs erreichte mit 34,70 Dollar seinen Höchststand seit 52 Wochen. Mehr als 2,5 Millionen Aktien wurden am 14. Mai gehandelt: doppelt so viele wie tags zuvor. So beschloss Meldrum, seine Optionsrechte zu ziehen, wie eine Recherche der „Presse am Sonntag“ auf Basis öffentlich zugänglicher Dokument ergab. Er verkaufte 15.000 Aktien zum Kurs von 34 Dollar und kaufte ebenso viele um 7,82 Dollar. Das macht unter dem Strich 392.700 Dollar Gewinn. Das ist natürlich völlig rechtens. Für Kritiker der Wohltätigkeitsindustrie, die sich um den Brustkrebs aufgebaut hat, ist diese Episode jedoch Wasser auf die Mühlen. Denn Myriad finanziert laut eigenen Angaben „Susan G. Komen“, die weltgrößte Brustkrebsstiftung und bekannt für das Symbol des „Pink Ribbon“, die rosa Schleife (allein in den letzten sechs Jahren hat Komen 2,2 Milliarden Dollar an Spenden gesammelt). Die Nähe zu Myriad habe Auswirkungen auf Komens Schwerpunkte, kritisiert Samantha King, Professorin für Gesundheitswissenschaft an der Queen's University in Kingston, Ontario: „Ich fürchte, dass Myriad möglichen Fortschritt verhindert.“

Auch andere Pharmakonzerne spielen im Geschäft mit der Furcht vor dem Krebs mit. AstraZeneca, Hersteller der Brustkrebsarznei Tamoxifen, hat den jährlichen nationalen „Breast Cancer Awareness Month“ erfunden.

Wie viel Geld Komen von Myriad bekommt und ob diese Spenden an Bedingungen geknüpft sind, ist unbekannt. Die Stiftung ließ eine Anfrage der „Presse am Sonntag“ unbeantwortet. Die Effekte der Verbandelung der „Pink Ribbon“-Kampagne mit Versicherungs- und Pharmakonzernen seien jedenfalls klar sichtbar, sagt King: „Diese Beziehungen tragen dazu bei, eine sehr enge und konservative Agenda zu formen, die genetische Risken und die Möglichkeiten von Gentests überbetont. Dafür werden Prävention und Erforschung von Umwelteinflüssen bei der Entstehung von Krebs vernachlässigt. Es ist nämlich schwer, eine PR-Story aus einer Krankheit zu machen, die nicht ausgebrochen ist.“

Angst hingegen zieht. „Brustkrebs ist die häufigste Ursache für Krebstod bei Frauen zwischen 20 und 59“, war am Tag nach Jolies Bekanntgabe auf dem Weblog von Komen zu lesen. Das stimmt schon. Aber nur sehr, sehr wenige junge Frauen erleiden diesen Tod. Und auch der mindestens 3000 Dollar teure Myriad-Gentest, den Jolie gemacht hat, ist nur für eine winzige Risikogruppe sinnvoll, warnt die Gesundheitsforscherin und praktizierende Internistin Kavita Patel von der Brookings Institution: „Es gibt die Sorge, dass jetzt jede Frau den Test machen will. Das wäre keine gute Lösung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2013)

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